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Die Leipziger Volkszeitung zu friedlicher Revolution/9. Oktober 1989

Archivmeldung vom 09.10.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.10.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die Vorschläge zur Würdigung der friedlichen Revolution vom Herbst '89 sind reich gesät: Den Nationalfeiertag auf den 9. Oktober legen, ein Einheitsdenkmal errichten, in Leipzig einen Platz umbenennen, die Demonstranten für den Friedensnobelpreis vorschlagen. Und doch läuft der geschichtsträchtige 9. Oktober, als 70 000 in Leipzig um den Ring zogen, zunehmend Gefahr, in Vergessenheit zu geraten.

Unter der Prämisse "Dafür sind wir damals nicht auf die Straße gegangen" dient er mitunter schon als Ventil für allgemeinen Frustabbau - oft auch praktiziert von damaligen Hinter-der-Gardine-Stehern. Dabei ist dieser Tag weit symbolträchtiger als die mit dem Mauerfall dargestellte Kapitulation des DDR-Regimes oder der Einheitstag mit seinem bürokratischen Vollzug. Die Rufe "Wir wollen raus", die die Flüchtlingszüge aus Warschau und Prag begleiteten, ließen sich noch niederknüppeln. Gegen mit Kerzen bewaffnete Montagsdemonstranten, die "Wir bleiben hier" und "Wir sind das Volk" riefen, versagte brutale Gewalt ebenso wie psychische Einschüchterung. Diese Erfahrung wach zu halten, ist in erster Linie eine politische Aufgabe, denn geschichtliches Wissen bringt zugleich Verständnis.
Dabei geht es keineswegs darum, die Stadt Leipzig und ihre Einwohner über Gebühr zu würdigen. Als der Schriftsteller Christoph Hein kurz vor dem Mauerfall auf einer Großdemo in Berlin vorschlug, Leipzig den Titel Heldenstadt zu verleihen, begründete er das damit, dass es die Demonstrationen des Volkes waren, die die Wende einleiteten. Zugleich wollte er damit an Versäumnisse und Fehler in der Vergangenheit erinnern, und an die Vernunft der Straße mahnen. Wenn heute viele Schüler glauben, Erich Honecker sei der zweite Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen, so ist das nicht allein ein Armutszeugnis für unser Bildungssystem. Weltweit wird mittlerweile die vom SED-Politbüro versehentlich bekannt gegebene Maueröffnung als das bestimmende Ereignis des Wendeherbstes publiziert. Hier gab es im Unterschied zu den Montagsdemos die ans Herz gehenden Bilder von feiernden Menschen mit Sektflaschen in der Hand und Freudentränen in den Augen.
Es waren nicht Leipzig und die Leipziger allein, die dem maroden System den Todesstoß gaben. Maßgeblichen Anteil daran haben sie aber allemal. Hier wurde beispielhaft Geschichte geschrieben, was innerhalb der Stadtmauern ungenügend dargestellt und außerhalb kaum noch wahrgenommen wird. Wenn die vor zwei Jahrtausenden stattgefundene Schlacht im Teutoburger Wald bekannter ist als das Geschehen vor 18 Jahren, dann sollte das mehr als nachdenklich stimmen. Politiker, Pädagogen, Künstler und Zeitzeugen können und müssen aktiv werden. Es geht dabei nicht um Verklärung, sondern um historische Aufbereitung und breite Information. Dies für die Stadt unter Marketingaspekten zu nutzen, ist genau so wenig anrüchig wie das touristisch genutzte Hermannsdenkmal. Die Losung "Wir sind das Volk" fegte einen Staat weg, der Ruf "Wir sind ein Volk" ließ eine neue Bundesrepublik entstehen, die den Geburtsfehler hatte, dass sich im Osten fast alles, im Westen fast nichts änderte. Aber auch das ist Geschichte, die zu kennen sich lohnt, wenn Ossi-Frust und Wessi-Anspruchsdenken durch gegenseitige Akzeptanz und Toleranz ersetzt werden sollen.

Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung


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