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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur "Rede zur Lage der Europäischen Union":

Archivmeldung vom 14.09.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.09.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Alle Augen wandten sich gestern nach Straßburg, wo Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine mit vielen Erwartungen befrachtete Rede zur Lage der Union hielt, die in diesem Fall besser Rede zur Zukunft der EU getauft worden wäre.

Eine andere Meldung ging in dem Trubel fast unter. Die Briten haben das wöchentliche Brexit-Treffen kommenden Montag abgesagt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es bis zum Stichtag Ende März 2019 nicht zu einer Übergangsvereinbarung kommt. Jean-Claude Juncker möchte den 30. März, den Tag nach dem britischen Austritt, zu einem Festtag für die Europäische Union machen. Ihm bleiben dann nur noch wenige Monate bis zum Ende seiner Amtszeit, nach der er sich erklärtermaßen aus der aktiven Politik zurückziehen will.

Sein politisches Lebenswerk, das so eng mit Europa verknüpft ist, würde er gern mit einem Gipfel im rumänischen Hermannstadt, heute Sibiu, krönen. Rumänien führt Anfang 2019 den Vorsitz in der EU. Auf dem Sondergipfel, so Junckers Hoffnung, sollen die verbliebenen 27 Regierungschefs seinen Kernforderungen für Europas Zukunft ihren Segen geben. Nach dem Motto "Wer nichts wagt, der nichts gewinnt" stürmt der Kommissionspräsident vorwärts und wischt die Bedenken derer beiseite, die mehr Trennendes als Einigendes in der EU sehen. Schließlich seien auch der Binnenmarkt, die grenzfreie Schengenzone und die einheitliche Währung als Luftschlösser abgetan worden, bevor sie Realität wurden.

In allen drei Bereichen fordert Juncker die Regierungen zu mehr Kühnheit auf - allerdings im Rahmen der geltenden EU-Verträge. Vertragsänderungen, so Juncker, interessierten außerhalb der Brüsseler Blase keinen Menschen. In der Tat gäbe es im bestehenden Vertragsrahmen eine Menge Spielraum für Reformen. So beinhaltet der Lissabonvertrag die Möglichkeit, die Binnenmarktgesetzgebung durch einmaligen einstimmigen Beschluss vom Knebel der Einstimmigkeit zu befreien. Dann könnten über Jahre blockierte Steuerdossiers wie die einheitliche Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer oder die Harmonisierung der Mehrwertsteuer mehrheitlich entschieden werden.

Das Veto aus den Niedrigsteuerländern Irland und Luxemburg wäre Geschichte. Doch man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass die vor den Vorratsbeschluss nötige Einstimmigkeit nicht zu erreichen sein wird. Der Euro für alle ist ebenfalls, wie Juncker in seiner Rede richtig darlegt, in den EU-Verträgen verankert. Wer der Europäischen Union beitritt, verpflichtet sich automatisch dazu, den Euro dann einzuführen, wenn die Wirtschaftsdaten den Anforderungen entsprechen. In Schweden zum Beispiel ist das schon lange der Fall.

Doch im Jahr 2003 stimmten 56,1 Prozent der Bevölkerung in einem Referendum dafür, die Krone zu behalten. Eigentlich hätte schon damals die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden einleiten müssen. Damit hätte sie sich aber den Vorwurf eingehandelt, undemokratisch zu sein und ihrem Image weiteren Schaden zugefügt. Deshalb ließ man die Sache ruhen. Auch die Juncker-Kommission denkt nicht im Traum daran, das Thema wieder an die Oberfläche zu zerren oder Länder wie Polen und Tschechien, wo die Mehrheit derzeit den Euro ablehnt, zu seiner Einführung zu nötigen.

Natürlich weiß Juncker selbst am Besten, dass trotz optimistischer Wirtschaftsdaten, überwundener Eurokrise und den Einheitswillen stärkender Brexit-Polemik der Wind des Wandels nicht so heftig weht, wie er das gern zum Ende seiner Amtszeit erleben würde. Getreu seinen Vorbildern, den europäischen Urgesteinen Helmut Kohl und Jacques Delors übt er sich im kühnen Träumen - in der Hoffnung, dass daraus irgendwann politische Tatsachen werden.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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