WAZ: Benedikt XVI. besucht die USA
Archivmeldung vom 16.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHeute trifft der Papst zu seinem Besuch in den USA ein. Aus deutscher Sicht mag Benedikt XVI. konservativ sein, aber ins amerikanische politische Spektrum lässt er sich so leicht nicht einordnen. Denn der Papst - und mit ihm die Katholiken insgesamt - sind in den USA eher eine linke Kraft:
Sie kämpfen gegen die Todesstrafe und gegen die Kriege, sie streiten für Armutsbekämpfung und für eine liberalere Einwanderungspolitik, gelten dann aber wieder als konservativ, weil sie gegen Abtreibung, aktive Sterbehilfe und Stammzellenforschung kämpfen. Katholiken sitzen in den USA zwischen allen Stühlen.
Der alte amerikanische Antikatholizismus ist heute fast
verschwunden, und in den gesellschaftlichen Eliten wächst die Präsenz
von Katholiken. Auch das ist anders als in Europa. Das heißt nicht,
dass die katholische Kirche in den USA keine Probleme hat. Sie hat,
weiß Gott, gigantische Probleme. Das fängt beim Missbrauchsskandal
an, dessen emotionale und finanzielle Folgen längst noch nicht
bewältigt sind. Und es hört bei den demographischen Veränderungen
nicht auf: Die katholische Kirche in den USA wird immer
multikultureller. Zu all dem wird Benedikt XVI. etwas sagen müssen.
Dennoch, die Kirche in den USA steht bei weitem besser da als
etwa die Kirche in Deutschland. Jeder zweite US-Katholik geht
sonntags in die Messe. In Deutschland sind es kaum mehr als zehn
Prozent. Und durch das dichte Netz katholischer Privatschulen hat die
Kirche eine feste gesellschaftliche Verankerung in den USA.
Doch der tiefere Grund, warum der Papst die USA so sehr mag (und
umgekehrt), liegt woanders. Als Theologe hat sich Joseph Ratzinger
immer wieder mit der Frage beschäftigt, wie man die Vernunft mit dem
Glauben in Einklang bringt, wie man die moderne Welt nach der
Aufklärung mit dem unverfälschten christlichen Glauben versöhnt. In
Europa ist dieser Konflikt bis heute ungelöst, gesellschaftlich und
individuell. Amerikaner dagegen - vielleicht auch, weil sie keine
Aufklärung erlebt haben - kennen diesen Konflikt gar nicht. Die USA
sind immer ein tief religiöses Land geblieben. Glaube und
Patriotismus sind das, was die Gesellschaft jenseits des Atlantik
zusammenhält. Und so sehr auch gestritten wird über Gott und die
Welt, für die Mehrheit der Amerikaner sind der Glaube an Gott und das
Leben in der Moderne kein Widerspruch. Deshalb sind die
amerikanischen Katholiken für Benedikt XVI. mehr als ferne
Glaubensbrüder. Es sind die heimlichen Seelenverwandten des Papstes.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Markus Günther)