Stuttgarter Nachrichten: Rückzug
Archivmeldung vom 14.11.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.11.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWie passt das zusammen? Zum einen steigt die Zahl der Türken und Türkischstämmigen in Deutschland seit fünf Jahren, die sich als streng religiös bezeichnen, spürbar an. Zum anderen halten 80 Prozent ihre deutsche Arbeitsumgebung für tolerant und verständnisvoll.
Das zeigt: Der Rückzug ins Religiöse
und das Betonen des Andersseins ist für viele Muslime kein Protest
gegen die feindliche Umwelt, kein Zorn über wachsende
Diskriminierung. Das heißt, dass viele gut gemeinte
Integrationsangebote ins Leere laufen. Während die Türkei mit
Nachdruck darum kämpft, Mitglied der Europäischen Union zu werden,
ziehen es offenbar immer mehr Türken in Deutschland vor, das
Trennende zu kultivieren – etwa das demonstrative Tragen des
Kopftuchs oder das religiös motivierte Pochen auf Sonderrechte im
Sportunterricht und auf Klassenfahrten. Denn das muss offen
angesprochen werden: In einer freiheitlichen, säkularisierten
Gesellschaft ist das Bekenntnis zu strengen muslimischen Werten und
Riten in der Regel mehr als eine Privatsache. Nicht selten ist es die
freie Entscheidung für das innere Exil. Die Tatsache, dass gerade
jene Türken, die bestenfalls einen Hauptschulabschluss – oft nicht
einmal den – haben, zunehmend religiös und konservativ werden und
sich Integrationsangeboten verweigern, ist nicht neu. Wie der Ruf
nach besserer Ausbildung. Und doch zeigen die neuen Studien, dass der
Weg zur gelungenen Integration nur über die Schule gehen kann – und
damit über stärkeren gesellschaftlichen Einfluss auf jene türkischen
Familien, die mit dem Hinweis auf Allah ihren Kindern die Zukunft
verbauen.
Quelle: Pressemitteilung Stuttgarter Nachrichten