Schwäbische Zeitung: London schädigt die EU
Archivmeldung vom 19.11.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVolker Kauder hat die Glut noch einmal richtig angefacht. Der CDU/CSU-Fraktionschef verkündete letzte Woche, in Europa werde nun Deutsch gesprochen. Die britischen Medien griffen den wenig intelligenten Spruch dankbar auf. Für sie tauchte wieder der welterobernde Deutsche auf. Hierzulande schlug die Boulevardpresse zurück. Nun kommen solche britisch-deutschen Kleinkriege von Zeit zu Zeit vor - meist in Verbindung mit Fußball-Länderspielen. Momentan spielt sich der Konflikt jedoch auf EU-Ebene ab. Dort hat die Streiterei eine andere Wertigkeit. Sie macht die Zerrissenheit der Union deutlich.
Großbritannien glaubt, grundsätzlich andere Interessen zu haben als der Rest der Mitglieder. Neu ist dies nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt können die britischen Befindlichkeiten aber fatale Folgen für die EU haben. Die Euro-Krise belastet die Union extrem. Sonderwege haben hier keinen Platz mehr. Klar, die Briten wollen ihren Finanzplatz London vor der Finanztransaktionssteuer schützen, die wiederum Kanzlerin Merkel forciert. Ein gewisses Verständnis dafür mag angehen, weil das Geldgeschäft als einziger wichtiger Wirtschaftszweig auf der Insel noch gut funktioniert. Trotzdem wäre es richtig, den Handel der Finanzjongleure zu besteuern - nicht nur, weil ihnen Grenzen guttäten, sondern ebenso aus Gerechtigkeit. Andere Geschäfte werden schließlich auch besteuert.
Ein weiterer Vorstoß Merkels tangiert die Briten zwar nicht direkt. Sie sind kein Mitglied des Euro-Raums. Eine Verschärfung der Stabilitätskriterien könnte London also gelassen sehen. Da aber hierzu eine Änderung der EU-Verträge nötig wäre, will Premier Cameron nur zustimmen, wenn Zuständigkeiten aus Brüssel zurück in die Nationalstaaten verlagert werden. So unterminiert er die Union. Letztlich ist unklar, ob die Briten überhaupt Mitglied bleiben wollen. Vielleicht ist es an der Zeit, ihnen die Gretchenfrage zu stellen. Die EU kann dies wagen. Sie kommt ohne Großbritannien zurecht, die Insel jedoch nicht ohne die EU, ihren wichtigsten Handelspartner.
Quelle: Schwäbische Zeitung (ots)