Leipziger Volkszeitung zur Kritik an Köhler
Archivmeldung vom 14.12.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.12.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHorst Köhler ist ein Bundespräsident, wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gab. Er ist kein politischer Apparatschik, keiner, der sein Amt zäh auf Ministersesseln ersessen oder in parteipolitischen Hinterstübchen erkungelt hat. Das merkt man ihm an: Manchmal tut er sich sogar noch in der Mitte seiner Amtszeit schwer, seine angemessene Rolle im Berliner Politikbetrieb zu finden. Dann wirkt er unsicher.
Etwa wenn
er sichtlich zu weit geht und sich in die Tagespolitik einer
einzelnen Partei einmischt. Oft aber lässt er einfach auf
erfrischende Art und Weise natürlichen Menschenverstand walten, zum
Schrecken von Regierungspolitikern. Die fühlen sich beim Tricksen
ertappt, zeigen aber mit dem Finger auf Köhler und wollen ihn als
Störenfried abstempeln. Dabei kann man dem Staatsoberhaupt nur
applaudieren: Innerhalb von wenigen Wochen hat er mit den
Gesetzentwürfen zur Privatisierung der Flugsicherheit und zur
Verbraucherinformation zwei Vorhaben der großen Koalition auf Eis
gelegt, die im starken Verdacht stehen, verfassungswidrig zu sein.
Köhler hat absolut richtig und zum Wohle der Bevölkerung gehandelt,
und seine Kompetenzen nicht überschritten. Denn immer häufiger werden
Gesetze ganz bewusst am Rande oder offensichtlich jenseits der
Verfassungsmäßigkeit vom Bundestag auf den Weg gebracht. Nach dem von
jedem schlechten Gewissen freien Motto: Man kann es ja mal versuchen.
Dieser rechtsstaatlich bedenkliche Sittenverfall wurde von Rot-Grün
geradezu kultiviert, wird jetzt aber unter neuen
Koalitions-Vorzeichen auch von der Union mitgetragen. Die großen
Koalitionäre sollten Köhlers Standhaftigkeit als Signal werten, in
Zukunft Gesetze sorgsamer vorzubereiten. Auch in ihrem eigenen
Interesse: Schwache und bequeme Politiker, die die letzte
Entscheidung allzu oft an das Verfassungsgericht abschieben,
verlieren ihre Autorität als vom Volk gewählte Gesetzgeber.
Dass der CDU-Politiker und Merkel-Vertraute Röttgen nun sogar das
"Gefüge der Verfassungsinstitutionen" in Gefahr sieht, wirkt
angesichts der krückenhaften Gesetzentwürfe hilflos überzogen. Und
wenn der SPD-Mittelbänkler Edathy postwendend droht, die SPD werde
Köhler nicht zu einer zweiten Amtszeit verhelfen, ist das schlicht
der Demontageversuch eines nicht willfährigen Bundespräsidenten. Dass
sich die Bundeskanzlerin und SPD-Chef Beck halbherzig schützend vor
Köhler stellen, ist ein Disziplinierungsversuch mit verteilten
Rollen: Erst werden die parteipolitischen Kettenhunde von der Leine
gelassen - und dann wieder zurückgepfiffen.
Das Verhältnis zwischen dem Bundespräsidenten und der großen
Koalition ist zerrüttet. Je nach Sichtweise ist er der falsche
Präsident für die richtige Koalition - oder aber der richtige
Präsident für die falsche Regierung. Von CDU und FDP ins Amt
gebracht, empfindet der international erfahrene Köhler als einer der
letzten marktwirtschaftlichen Reformer in einem wichtigen
öffentlichen Amt die Regierungspolitik oft als Zumutung. Dabei ist er
nicht beratungsresistent, aber offenbar unbeirrbar. Dies
beizubehalten, wäre keine schlechte Agenda.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung