WAZ: Wohin geht die SPD?
Archivmeldung vom 11.03.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKurt Beck will die SPD weiterhin führen, aber die Frage wird sein: Wohin? Zunächst einmal aus der Krise heraus, in die er seine Partei selbst hineingeführt hat, indem er erst einsam ein Verbot für Kooperationen mit den Linken im Westen verhängte, um es dann einsam und zur Unzeit wieder zurückzuziehen.
Wer den Auftritt des Vorsitzenden am Montag verfolgte, konnte den
Eindruck gewinnen, dass die SPD sich in zwei Welten bewegt, und das
tut sie auch wirklich. Beck beharrt darauf, dass sein Vorgehen von
einem "Galopp in den Abläufen" einmal abgesehen ein notwendiges
Ergebnis herbeigeführt habe. Er scheint nicht zu sehen, dass er die
Notwendigkeit für dieses "notwendige Ergebnis" selbst geschaffen hat.
Das ist ein Problem für die regierungstätigen Sozialdemokraten,
die sich fragen müssen, wie die Wahrnehmung ihres Chefs künftig mit
ihrer eigenen Wahrnehmung in Einklang zu bringen sein wird. Von
Berlin aus betrachtet hat Becks Autorität stark gelitten. Von der
Basis aus betrachtet hat Beck zwar ein paar peinliche Verrenkungen
vorgeführt, sich aber wie zuvor schon beim Arbeitslosengeld I selbst
korrigiert und deutlicher links positioniert. Daraus kann sich eine
für die Partei verhängnisvolle Konstellation ergeben. Die früheren
Vorsitzenden Franz Müntefering und Matthias Platzeck hatten vor allem
das Ziel, ihre oppositionsverliebte Partei mit dem schmerzhaften
Regieren zu versöhnen. Beck aber bezieht seine Macht zunehmend direkt
von der Basis, und er benötigt sie, um sich gegen seine
Stellvertreter Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück zu
behaupten.
Gemeinhin wird angenommen, dass Beck nur deshalb im Vorsitz
geschützt sei, weil es keine Alternative mehr gebe. Das stimmt nur
noch bedingt. Mehr und mehr stimmt, dass man keine Mehrheit gegen den
Mann aufbieten kann, der sich aus Sicht der Basis von Gerhard
Schröders Agenda 2010 verabschiedet. Beck läuft Gefahr, sich
erpressbar zu machen und der Basis aus Gründen des Machterhalts zu
folgen, statt sie zu führen.
Wenn die auf Berlin und Mainz verteilte SPD-Führung in
unterschiedliche Richtungen strebt, wird die Partei ihre größte
Herausforderung nicht bewältigen, die schlicht formuliert darin
besteht, Herz und Verstand zu vereinigen: wirtschaftliche Kompetenz
und soziales Denken in Regierungshandeln umzusetzen. Beck wird
Zeichen dafür setzen müssen, dass er sich seiner Verantwortung
bewusst ist. Der Verzicht auf die Kanzlerkandidatur wäre ein Zeichen.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung