Westdeutsche Zeitung: Die Renaissance der europäischen Stadt
Archivmeldung vom 24.02.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.02.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Landesregierung will Einkaufszentren auf der grünen Wiese per Gesetz stoppen und setzt damit ein klares Zeichen gegen den Wildwuchs im Niemandsland. Endlich regt sich Widerstand gegen den stadtplanerischen Wahnsinn, systematisch Kaufkraft aus den Zentren an die Peripherie zu verlagern.
Die Shopping-Mall passt zur amerikanischen Stadt, in der City,
Wohnvororte und Einzelhandelszentren allein noch durch breite
Verkehrsadern miteinander verbunden sind. Zur europäischen Stadt mit
ihren belebten Plätzen, vitalen Vierteln, sozialen und kulturellen
Räumen passt die Mall im Grünen nicht.
Und doch haben die deutschen Kommunen in den vergangenen
Jahrzehnten das amerikanische Prinzip zum Maß aller Dinge erklärt.
Mit verheerenden Folgen: Die Ballungsräume fransten an ihren Rändern
aus, Naherholungsgebiete wichen gigantischen Hallen und noch
gigantischeren Parkplätzen, während die Fußgängerzonen in den Kernen
verödeten.
Weil Geschäfte, Wohnungen und Arbeitsplätze räumlich auseinander
drifteten, wuchs der Straßenverkehr ins kaum Vorstellbare. Die Städte
bluteten aus, der traditionelle Einzelhandel verschwand aus den
Vierteln, Familien flüchteten aus der verkehrsumtosten Tristesse.
Aber Totgeglaubte leben länger: Europas Städte stehen im 21.
Jahrhundert vor einer Renaissance, weil steigende Energiepreise das
Autopendeln zum Büro oder Supermarkt unwirtschaftlich machen. Weil
der Klimawandel dazu zwingt, den ökologischen Irrsinn der
Zersiedelung zu stoppen. Weil eine alternde Bevölkerung auf kurze
Wege setzt. Und weil junge Familien den urbanen Lebensstil
wiederentdecken.
Dennoch greift die Landesregierung zu kurz, denn ihr Gesetz hemmt
zwar Wucherungen auf der grünen Wiese, ignoriert aber, dass nun diese
grüne Wiese von außen nach innen gestülpt wird. Kaum ein
Bürgermeister, der sich neuen Konsumpalästen im Herzen seiner Kommune
verschließt; kaum ein Stadtrat, der den Verheißungen von
Großinvestoren mit Vernunft und Augenmaß widersteht.
Dabei ist abzusehen, dass solche künstlichen Innenstadt-Imitate die gewachsenen Strukturen der Citys erneut schwächen, weil sie die Einzelhandelsfläche bei sinkender Kaufkraft der Menschen drastisch vergrößern. Es ist offenbar nichts schwieriger, als aus Fehlern tatsächlich zu lernen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Zeitung