Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Koalition
Archivmeldung vom 12.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittTop oder Flop? Die Runde am Abend im Berliner Kanzleramt, aber auch die große Koalition insgesamt muss bis zur Weihnachtspause unter Beweis stellen, was sie noch drauf hat. Franz Müntefering und Angela Merkel werden heute vermutlich im inneren Zirkel der Macht viele lose Enden zusammenführen. Das reicht allerdings nicht, wenn danach wieder die SPD ihre Hamburger Beschlüsse, ein anderes Mal die CSU ihre neuen Profilierungsversuche in den Blick rückt.
Schließlich werden Jürgen Rüttgers, Karl-Josef Laumann und andere
Alpha-Männchen aus den Ländern noch reichlich Duftmarken setzen. Von
der modifizierten ALG I-Finanzierung bis zu einer noch gar nicht
absehbaren Dramatisierung der Lage um die Bahn und deren Börsenwert
gibt es wieder reichlich Soll-Bruchstellen für die große Koalition.
Aber im einzelnen. Beim Mindestlohn stehen die Einigungschancen
zumindest für das Gespräch im Kanzleramt gut. Mit dem Grundsatz, dass
nur Briefträger von 2008 an Mindestlöhne bekommen sollen, die
hauptsächlich Briefe zustellen, war bereits letzte Woche die Kuh vom
Eis geholt worden. Jetzt müssen die Berliner Generalisten ins Detail
gehen und festschreiben, dass jemand »maßgeblich mit dem Sortieren
oder Verteilen von Briefen befasst« sein soll und Firmen gemeint
sind, deren »hauptsächlicher Geschäftszweck« die Briefzustellung ist.
Königswege zur längeren Zahlung von ALG I an Ältere sind dagegen
auch im Kleinklein nicht zu finden. Die SPD lehnt Kürzungen in
anderen Bereichen zur Gegenfinanzierung schlicht ab. Dafür kann sie
genauso wenig wie Laumann bei der CDU belegen, dass die Kosten unter
einer Milliarde Euro bleiben.
Schlicht gescheitert sind die bisherigen Pläne zur
Bahnprivatisierung, seit die SPD beim Hamburger Parteitag beschlossen
hat, eine Teilprivatisierung nur per Volksaktienmodell zuzulassen.
Ganz nebenbei hat sie damit ihrem eigenen Verkehrsminister ein
Waterloo bereitet.
Das fast anarchistische Streikgehabe der Gewerkschaft der Lokführer
verstellt derzeit den Blick auf andere, tiefe Bruchlinien. Einige
davon reichen nämlich bis ins morsche Gebälk der Beck'schen
Machtbasis.
Als Kompromiss bietet sich nun ein Holding-Modell an. Unter deren
Dach würden Netz und Betrieb bei der Bahn getrennt. Die dringendst
benötigten privaten Geldgeber könnten sich dann am Betrieb des Fern-,
Regional- und Güterverkehrs sowie der Speditionstochter Schenker
beteiligen. Das Schienennetz aber bliebe in der Hand des Bundes.
Klingt gut, schmeckt aber den Genossen nicht, und das beredte
Schweigen in der Union verheißt auch nichts Gutes.
Wenn dann noch Bahnchef Hartmut Mehdorn die Brocken hinschmeißt, der
halbe Bahnvorstand gleich mitzieht und die Politik tatenlos zuschaut,
wie der Aufschwung von wenigen Egoisten gnadenlos abgewürgt wird,
dann ist es vorbei mit der frohen Weihnacht.
Quelle: Pressemitteilung Westfalen-Blatt