WAZ: Kommentar zu: Studie droht mit höheren Bahnpreisen
Archivmeldung vom 09.12.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs war eine Zeit, da sprach man nicht von Service Points und Takt- Optimierung. Da ging man einfach zur Bahn und konnte sich auf den Fahrplan verlassen. Seither ist die Bahn moderner. Viel Geld wurde investiert. Doch was die Zuverlässigkeit angeht und das forsche Tempo von Preiserhöhungen, so wünschen sich nicht wenige Kunden alte Zeiten zurück.
Medien wissen: Gibt man Bahnfahrern, insbesondere den Pendlern,
Gelegenheit, ihr Herz über die oft täglichen Bahnprobleme
auszuschütten, fließen im Nu ganze Seiten und Sendungen voll. Auch
der Politik platzte der Kragen. Bahnfahrer sind Wähler, Zorn kostet
Stimmen, außerdem ist Politik dem Gemeinwohl verpflichtet. Also will
die Berliner Koalition die Bahn zu höheren Entschädigungen bei
Verspätungen verdingen. Allergisch reagiert nun die Bahn.
Um rund zehn Prozent würden die schwarz-roten Pläne die Fahrkarten
verteuern, heißt es in einem Gutachten der Bahn. Unverfroren, gelinde
gesagt.
Denn im Klartext liefe dies darauf hinaus, dass von Verspätungen
gequälte Bahnkunden die Entschädigungen aus der eigenen Tasche
bezahlten. Für die Bahn gäbe es keinen Grund, intensiver nach ihren
organisatorischen Schwächen zu suchen. Keinen Grund, ernsthafte
Anstrengungen gegen Pannen und die Seuche der Verspätungen und
Zugausfälle zu unternehmen. Würde ein privater Unternehmer die
Kosten, die durch eigene Fehler und Unzuverlässigkeit entstehen, auf
die Preise aufschlagen, er wäre wohl bald bankrott. Dies zu Recht.
Womöglich ist jenes Gutachten aber vor allem als Druckmittel gegen
die Koalitionspläne gerichtet, um Schwarz-Rot zum Verzicht auf höhere
Entschädigungen zu veranlassen. Das Motto: Wenn es
Fahrpreiserhöhungen gibt, trägt die Schuld dafür der Bund. Heuchelei
wäre so etwas zu nennen.
Manches wirkt, als scheuten die Verantwortlichen der Bahn AG, seit
ihrer Absicht, an die Börse zu gehen, vor keiner Maßnahme zurück, die
Kosten einspart oder auf andere verlagert. Gleichzeitig schreckt sie
nicht vor pompösen Plänen zurück, wie die Überlegungen belegen, den
Unternehmenssitz nach Hamburg zu verlegen. Alles mag in der Logik des
Börsengangs notwendig sein. Dass dies aber zu oft auf dem Rücken der
Kunden geschieht, die auf die Bahn angewiesen sind, ist schlichtweg
perfide.
Qoelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung