Rheinische Post: Die hysterische Republik
Archivmeldung vom 19.03.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist das Missverständnis deutscher Politik, dass sie allen Bekenntnissen zum Trotz immer noch glaubt, alles regeln zu müssen. Zudem sie überzeugt ist, sogar alles regeln zu können. All die Regierungserklärungen, Sonntagsreden und Parteiprogramme, die vom "mehr Freiheit wagen" handeln, werden reflexhaft von führenden Mitgliedern der politischen Klasse ad absurdum geführt, sobald ein gesellschaftlicher Missstand entdeckt wird.
Die jüngsten Beispiele: In Berlin trinkt sich ein 16-Jähriger fast zu
Tode - sofort flammt eine weltfremde Diskussion über Alkoholverbote
für Jugendliche auf. Die staunende Öffentlichkeit lernt den Begriff
des "Flatrate"-Saufens kennen, vor allem aber eine hilflose Debatte
über die Verwahrlosung eines immer noch überschaubaren, wenn auch zu
großen Teils unserer Jugend. Mit neuen Gesetzen und dem Ruf nach
einem "Bußgeld für schlechte Eltern" ist aber noch kein vernebelter
junger Kopf gerettet. Entlarvend ist, dass in der Diskussion viele
Praktiker des Jugendschutzes - die Millionen erfolgreich erziehender
Eltern - kaum zu Wort kommen, die Praktiker der Talkshowgesellschaft
aus Parlamenten und allerlei "Forschungsinstituten" umso mehr.
Noch hysterischer wird die Diskussion um den Klimaschutz geführt. Dem
grünen Gebot, Deutsche sollten umweltfreundliche japanische Autos
einheimischen Produkten vorziehen, folgt der Ruf nach dem Verbot der
Glühbirne. Das ist das Signal zu einem Überbietungswettbewerb, der
die Vorschläge Tempolimit (dabei gibt es das auf weiten Teilen der
deutschen Autobahnen), Dienstwagen-Strafsteuer oder CO2-Abgabe
präsentiert. Umweltminister Gabriel bereichert die Debatte um die
Warnung, "nicht jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf zu treiben". Da
ermahnt ein Metzger die anderen Metzger.
Natürlich: Gebote, auch Verbote gehören zu einem funktionierenden
Zusammenleben. Alle entwickelten Gesellschaften haben sich Regeln
gegeben. Das Problem: Die deutsche Gründlichkeit mag in Alltag und
Wirtschaft nicht mehr häufig anzutreffen sein beim Angst haben und
Angst machen ist sie noch Spitze. Dieser Gründlichkeit liegt ein
tiefsitzendes Misstrauen gegenüber dem Individuum, aber übrigens auch
der Marktwirtschaft zugrunde. Wer die Einzel- oder Zeiterscheinung
zur Regel erhebt und ihr mit einer Regel begegnen will, der reguliert
auch die Freiheit zur innovativen Lösung, zur weiterbringenden
Abweichung. Der Beleg für diese These? Schon ein Blick ins Baurecht
genügt.
Dieselben Staatenlenker, die vollmundig den Abbau der Bürokratie als
Ziel ausgeben, kennen nur eine Antwort, wenn es ein Problem zu
beseitigen gilt: den Aufbau neuer Bürokratie. Immer dabei: ein
hektischer Grundton, ein aus dem schlechten Gewissen der
Vergangenheit gespeister Ansatz besserwisserischen
Weltretterstreberei. Höchste Zeit also für ein Verbot der Verbote.
Das wäre mal ein Vorschlag.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post