Westfalenpost: Auswahlkriterium mangelhaft
Archivmeldung vom 02.10.2017
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.10.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttEs braucht kein Einser-Abitur, um sich auszurechnen, dass beste Schulnoten allein noch keinen guten Arzt ausmachen. Wer diese Arbeit ein Berufsleben lang hervorragend machen will, der muss mehr draufhaben als Exponentialfunktionen, Molekularbiologie und Gedichtanalysen.
Ein guter Arzt darf nicht nur das Wissen und die Wissenschaft mögen, sondern er muss vor allem die Menschen lieben. Seine Patienten, seine Mitarbeiter und Kollegen im Team. Das sind eigentlich Binsenweisheiten. Dennoch war in den vergangenen Jahrzehnten bei der Vergabe der Studienplätze vor allem der Notendurchschnitt ausschlaggebend. Mit der Folge, dass am Ende mancher der Einserkandidaten niemals in einer Praxis, schon gar nicht auf dem Land, ankam. Und dass andere, die diesen Job trotzt schlechterer Zensuren mit Bravour und Begeisterung zum Wohle der Patienten getan hätten, keinen Studienplatz bekamen.
Der Numerus clausus als einziges Kriterium ist eine der Ursachen für den Ärztemangel. Insofern bleibt zu hoffen, dass Verfassungsrichter nun dem NC für Medizin ein Mangelhaft attestieren. Es braucht noch andere Auswahlmerkmale. Ein Allheilmittel gegen den Ärztemangel wird aber auch das nicht sein. Wenn immer mehr Ärzte Beruf und Familie vereinbaren wollen, statt 72-Stunden-Dienste zu schieben, müssen mehr Mediziner ausgebildet, also mehr Studienplätze geschaffen werden. Und wenn diejenigen, die höchstmotiviert für Menschen da sein möchten, im Alltag ihre Arbeitszeit mit immer mehr Bürokratie verbringen, ist die Gefahr groß, dass gerade sie am Ende frustriert aus dem Beruf aussteigen. Um sich das auszurechnen, braucht man ebenfalls kein Einser-Abitur.
Quelle: Westfalenpost (ots) von Nina Grunsky