Leipziger Volkszeitung zum CDU-Parteitag
Archivmeldung vom 03.12.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHannover ist nicht Leipzig. Ganz besonders nicht für die CDU. Wenig ist geblieben vom wirtschaftspolitischen Modernisierungseifer, der die Christdemokraten und ihre Vorsitzende Merkel auf dem Parteitag 2003 umtrieb.
Schon auf dem Dresdner
Parteitag 2005, als aus der Reformerin und Oppositionsführerin die
Kanzlerin und Vermittlungstherapeutin der großen Koalition geworden
war, wurde viel ökonomische Vernunft an der Garderobe abgegeben,
dafür aber populäre und populistische Verteilungspolitik als der
wahre Sinn christdemokratischen Handelns wiederentdeckt. Unter Druck
und Eindruck einer fast verlorenen Wahl. Seitdem haben Merkel und ihr
Generalsekretär Pofalla die CDU kontinuierlich nach links gerückt.
Auch wenn dies im Konrad-Adenauer-Haus heftig abgestritten wird, ist
das neue Grundsatzprogramm der CDU, das die Delegierten ohne
Revolution gegen die Umfragen-Königin Merkel absegnen werden, der
schriftliche Beweis dafür. Einige konservative Beruhigungspillen wie
das Elterngeld oder die Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei ändern
am gesellschaftspolitischen Richtungswechsel der CDU nicht viel.
Dabei drohen ihr viele klare Konturen und Bindungskräfte an
bürgerliche Wählerschichten abhanden zu kommen. Ohne dass gesichert
wäre, Jüngere oder Großstädter in Zukunft für die letzte große
Volkspartei mit Chancen auf einen 40-Prozent-Anteil an die Urnen zu
bringen.
Merkels Besetzen des Vakuums, das die SPD in der linken Mitte
hinterlassen hat, irritiert Freund und Feind gleichermaßen. Die den
Linken ewig hinterherhechelnde SPD genauso wie die eigenen
Stammwähler, die sich von der Parteivorsitzenden beim Verteidigen
bürgerlicher Werte allein gelassen fühlen. Obwohl es vielerorts an
der Basis der CDU gärt und brodelt, hat Merkel als Parteivorsitzende
in Hannover weder inhaltlich noch machtpolitisch Schlimmes zu
befürchten. Gute Umfragewerte für sie und halbwegs gute für die
Union, sinkende Arbeitslosigkeit, eine noch boomende Wirtschaft und
ein zeternder, aber desolater Koalitionspartner steigern die
disziplinierende Wirkung der Kanzlerschaft zusätzlich. Merkel sitzt
so fest im Sattel wie noch nie seit ihrer Wahl zur Vorsitzenden. Ob
die CDU zum willenlosen Merkel-Wahlverein geworden ist, wird sich
aber erst zeigen, wenn die Dinge schlechter laufen, Landtagswahlen
verloren gehen, die Wirtschaft wieder lahmt oder der kraftvoll
aufgeblähte Haushalt nicht mehr finanzierbar ist.
Mit Schröders neuer Mitte hat Merkels Mitte, die eine alte ist, wenig
zu tun, weil es um das Zurückdrehen des Reform-Rades geht. Mehr
Freiheit und weniger Staat hatte sie zu Beginn ihrer Kanzlerschaft
versprochen, weniger Freiheit und mehr Staat sollen es nun werden. Es
ist die Aufgabe Pofallas, gebetsmühlenartig das Gegenteil zu
behaupten und Abgrenzungsbändchen zur SPD als unzerstörbare
Stahlseile auszugeben. Festen Wählergrund hat die CDU mit ihrem neuen
Grundsatzprogramm noch nicht unter den Füßen. Sie wirkt wie ein
verunsicherter Suchtrupp im Niemandsland der beliebigen politischen
Mitte. Schaffen es Merkel und Pofalla nicht, die genervte Basis
mitzuziehen, könnte aus dem Einzug in die gelobte Mitte schnell ein
"Ab durch die Mitte" in der Wählergunst werden.
Quelle: Leipziger Volkszeitung