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WAZ: Was Ullrich sich fragen muss

Archivmeldung vom 14.08.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.08.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Was verbindet den früheren Boxweltmeister Jack Sharkey mit dem ersten und einzigen deutschen Tour-de-France-Sieger Jan Ullrich? Nun, beide stehen dafür, dass objektive Tatbestände mit der subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen nicht immer übereinstimmen.

Von Sharkey, der am 12. Juni 1932 im Kampf um den vakanten Schwergewichts-Titel gegen Max Schmeling wegen eines regelwidrigen Tiefschlags disqualifiziert worden war, ist überliefert, dass er noch kurz vor seinem Tod im Alter von 91 Jahren versichert haben soll: "Es war kein Tiefschlag."

Ullrich verweigert bis heute - allen erdrückenden Indizien zum Trotz - ein Doping-Geständnis und zieht sich unbeirrt auf die Formulierung zurück, er habe keinen Konkurrenten betrogen. Was durchaus logisch klingt - unter der Voraussetzung, dass alle Top-Radfahrer dopen und damit Chancengleichheit (unter Betrügern, versteht sich) bestünde.

Ausgerechnet unmittelbar vor Bekanntwerden einer weiteren juristischen Niederlage im Dauerkampf um seine vermeintlich saubere Weste hat Jan Ullrich jetzt öffentlich gemacht, dass er unter dem Burn-Out-Syndrom leide - einer Krankheit, als deren Hauptursache dauerhafte psychische Überlastung gilt. Wie jeder Kranke hat auch der gefallene Rad-Heros, der nicht grundlos die Verlogenheit unserer Gesellschaft gegenüber ihren Idolen beklagt hat, unser Mitgefühl verdient.

Es steht einem nicht an, aus der Distanz Ratschläge zu geben. Aber Ullrich selbst wird sich die Frage stellen müssen, ob er tatsächlich - wie augenscheinlich Jack Sharkey - mit sich im Reinen ist. Andernfalls wäre die Zeit reif für einen Befreiungsschlag, der ihn von seinen offensichtlich seelischen Qualen erlösen könnte. 

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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