Berliner Morgenpost: Kein Freibrief für Unwirtschaftlichkeit
Archivmeldung vom 21.12.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.12.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSie hätte langweilig werden können, die Berliner Landespolitik im Zwischenwahljahr 2010. Die rot-rote Koalition verfällt aus Angst vor der eigenen wackeligen Mehrheit in Angststarre. Die Opposition hat nicht den Mumm, sich als echte Alternative zu SPD und Linken zu organisieren.
Interessante Debatten sind nicht in Sicht, alle harren nur darauf, ob die von vielen für 2011 als wahlentscheidend betrachtete Schulreform nun einigermaßen gelingt oder ob eine chaotische Organisation die Wähler vergrault. Aber plötzlich stehen doch Themen auf der Agenda, die alle Bürger angehen und die in die ureigenste Verantwortung der Kommunal- und Landespolitik fallen, sodass sich also niemand auf irgendwelche Vorgaben des Bundes zurückziehen kann. Es geht um den Umgang mit öffentlichen Dienstleistungen, mit früheren oder aktuellen Staatsunternehmen. Es geht um die Frage, wie wir Daseinsfürsorge, also Nahverkehr, Wasser, Müll, Strom, Gas, Wohnen, in Berlin organisieren. Das Verdienst, diese Fragen aufgebracht zu haben, gebührt Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), dem nach Gysis Intervention sehr wahrscheinlichen Spitzenkandidaten der Linken für 2011. Natürlich setzt Wolf mit Forderungen, die für viele Linke nicht nur in seiner Partei attraktiv klingen, die SPD unter Zugzwang. Und natürlich punktet Wolf in den eigenen Reihen, wenn er mehr Staat in der Wirtschaft propagiert. Aber es griffe zu kurz, Wolfs Pläne als linke Propaganda abzuqualifizieren. Überall in der Republik versuchen Kommunen, Privatisierungen der Vergangenheit zurückzudrehen. Dass es in jedem Fall und immer der Markt richtet, dieses Zutrauen hat nicht zuletzt die Finanz- und Wirtschaftskrise auch bei vielen Kommunalpolitikern der konservativen Parteien zerstört. Niemand sollte sich jedoch in diesen komplizierten Fragen von Ideologie leiten lassen. Nötig ist ein unternehmerischer Ansatz, der fragt, was soll ein Gasversorger oder ein Verkehrsunternehmen leisten und wie kann eine Stadt ihre Interessen durchsetzen. Ob man dann Anteile kaufen sollte oder andere Instrumente wie Ausschreibungen und Konzessionen oder Verträge nutzt, muss im Einzelfall entschieden werden. Für die Gasag kann man also zu einem anderen Schluss kommen als für die S-Bahn. Für die Bürger sind solche Diskussionen kompliziert, aber spannend. Unterschiedliche Vorstellungen, wie ein Gemeinwesen aufgebaut sein sollte, werden sichtbar. Wähler können entscheiden, ob sie ihre Interessen eher durch Verfechter des freien Marktes gewahrt sehen oder ob sie mehr öffentliche Interventionen wollen. In jedem Fall geht Politik wieder in die Verantwortung für kommunale Leistungen, die zu Monopolen neigen wie die Versorgung mit Wasser, Bahnlinien oder Gas. Eines muss jedoch klar sein: Öffentliche Kontrolle von Unternehmen kann kein Freibrief für Unwirtschaftlichkeit sein. Es darf nicht darum gehen, mit Steuergeldern Tarife herunterzusubventionieren. Aus dieser unheilvollen Tradition hat sich Berlin gerade befreit.
Quelle: Berliner Morgenpost