Das WESTFALEN-BLATT (Bielfeld) zum Unfall in der ZDF-Sendung »Wetten, dass. . ?«
Archivmeldung vom 06.12.2010
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.12.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittLive-Sendungen sind unberechenbar. Jederzeit kann etwas passieren - so wie am Samstagabend in Düsseldorf bei »Wetten, dass. . ?«. Der 23-jährige Wettkandidat Samuel Koch verletzte sich schwer. Es war ein tragischer Unfall, an dem das ZDF keine Schuld hat. Im Gegenteil: Der Sender reagierte vorbildlich auf das Unglück. Die wichtigste Show des Senders sofort abzubrechen, war die einzig richtige Entscheidung. Zudem wurden die Kameras nicht länger als nötig auf das Opfer gerichtet, sondern weggeschwenkt. Respekt vor dem Verunglückten wurde gewahrt, statt die Zuschauer zu Voyeuren werden zu lassen.
»The Show must go on« heißt es sonst immer. Aber nach dem Unfall war das unmöglich. Hätte Thomas Gottschalk weitermoderiert, hätte sich das ZDF den Vorwurf eingehandelt, dass ihm Einschaltquote und die Verträge mit internationalen Topstars wie Take That, Justin Bieber, Cameron Diaz und Phil Collins wichtiger gewesen wären als Pietät. In der Geschichte der erfolgreichsten europäischen TV-Show, die 2011 30 Jahre alt wird, stellt das Unglück eine Zäsur dar - ein Grund, ihr Ende zu fordern, ist es nicht. Natürlich hat der Unfall Folgen. Das ZDF wird künftig Wetten noch stärker auf mögliche Risiken zu prüfen haben, und der Sender muss in der durch das Unglück angeheizten Diskussion darüber, ob der Wunsch nach hohen Einschaltquoten immer waghalsigere Aktionen befördert, Stellung beziehen. »Wetten, dass. . ?« war hier bislang unverdächtig, weil es vor allem von den Stars lebt. Zudem: Bei den allermeisten der gut 800 Wetten bestand nie Gefahr für Leib und Leben. Und die kleine Zahl der spektakulären Wetten gibt es nicht erst, seitdem das ZDF am Samstag zeitgleich mit der RTL-Show »Das Supertalent« konkurriert. So raste der Bayer Toni Rossberger bereits am 20. Februar 1999 auf seiner Geländemaschine die Sprungschanze in Garmisch-Partenkirchen herunter und sprang 82 Meter weit - zum Glück unfallfrei. Das Motto »Immer waghalsiger« gilt eher bei Privatsendern wie RTL. In der aktuellen Staffel von »Das Supertalent« sprang ein Brite mit dem Kopf voraus in ein mit nur wenig Wasser gefülltes Planschbecken, und ein anderer Kandidat zerstückelte mit verbundenen Augen mit seinem Samuraischwert Salatgurken, die auf Unterarmen und Köpfen festgeklebt waren. Fernsehsender testen Grenzen und überschreiten sie manchmal. Gesündigt hat auch das ZDF. Für die Show »Wünsch dir was« mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach wurde 1971 ein Autounfall simuliert. Kandidaten versanken samt Auto im Wasser und gerieten versehentlich in Lebensgefahr. Zurecht sprach Deutschland damals von einem Skandal und kritisierte das ZDF heftig. Daraus hat der Sender offenbar gelernt. 39 Jahre später brachte nicht das ZDF Samuel Koch in Gefahr, sondern der sich selbst - leider mit bösen Folgen.
Quelle: Westfalen-Blatt