Neue Westfälische (Bielefeld): Unfall bei "Wetten, dass ...?"
Archivmeldung vom 11.12.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm Sonntagabend wird der Jahresrückblick des ZDF gesendet. Thomas Gottschalk moderiert die Sendung und absolviert damit seinen ersten Show-Auftritt nach dem fürchterlichen Unfall seines Wettkandidaten Samuel Koch bei "Wetten, dass ...?" am vergangenen Samstag. Und jeder Zuschauer wird an das Schicksal des 23-Jährigen erinnert, der möglicherweise sein Leben lang gelähmt bleiben wird.
Das Mitgefühl vieler Menschen gilt ihm. Zu Recht. Auch an Samuels Vater, die tragische Figur des Unglücks, sollten die Menschen denken. Jahresrückblicke sind Momente des Innehaltens, des Sicherinnerns. Innehalten und einen Moment nachdenken kann auch in der Debatte um die Konsequenzen aus dem Unfall nützen. Die ist viel zu aufgeregt und viel zu betroffen. Und viel zu schnell wird nach Schuldigen jenseits der direkt Beteiligten gesucht. Noch bevor nach Verantwortung gefragt wird. Dabei gilt zunächst, dass jeder gesunde Erwachsene für sich, seine Entscheidungen und sein Verhalten selbst verantwortlich ist. Niemand hat Samuel Koch gezwungen, mit Federbeinen an den Füßen über fahrende Autos zu springen. Jedenfalls ist von solch einem Zwang nichts bekannt. Es war die Entscheidung eines erwachsenen Mannes, sich diesem Risiko auszusetzen. Leicht könnte man behaupten, es handele sich um Geltungssucht, der Wunsch, berühmt zu werden, der in den kommenden Wochen wieder Zigtausende bei "Deutschland sucht den Superstar" antreten lässt. Den Bedarf nach Heldentum gibt es in jedem Zeitalter, freilich in unterschiedlicher Ausprägung. Es mag aber auch die Lust am Kick gewesen sein, der Wunsch, an Grenzen zu gehen, sie sogar zu überschreiten und das vielen Menschen zu zeigen. Freeclimber, Hochgeschwindigkeitsskifahrer, Bergsteiger und andere, sie alle kennen diesen Kick. Und vie-le haben dafür teuer bezahlt, so wie jetzt Samuel Koch - und teurer. Wer jedoch Bücher liest, findet in der Literatur Beispiele genug, die besagen, dass Wagemut tödlich enden kann. Das fängt schon bei Ikarus an. Nicht jedes Risiko ist beherrschbar. Das ist bekannt. Warum sollte Thomas Gottschalk aufhören, warum "Wetten, dass ...?" deshalb eingestellt werden? Dann dürfte es auch keinen Skiabfahrtslauf mehr geben und keine Formel 1. Dort gab es schon Tote. Die Gesellschaft muss die unangenehme Lektion lernen, dass Tun oder Lassen Folgen haben kann und Verantwortung nach sich zieht. Üblich ist es, andere für Versagen und Unglück verantwortlich zu machen. Das ist besonders bequem, wenn es sich um ein abstraktes Konstrukt handelt. Im Unglücksfall Koch ist es die Einschaltquote. Bei einem Unfall auf eisglatter Straße wird die Stadt verantwortlich gemacht (ich bin nicht zu schnell gefahren, die haben nicht gestreut). Im Beruf wird die Verantwortung für Misserfolg von einem zum anderen geschoben. Die Freiheit zu entscheiden ist jedoch nur im Zusammenhang mit Eigenverantwortung zu haben. Auch wenn das wie bei Samuel Koch bitter sein kann.
Quelle: Neue Westfälische