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Berliner Morgenpost: Unbedachte Worte und ihe Nebenwirkungen

Archivmeldung vom 27.02.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.02.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Sicherlich kann und darf man über das Urteil diskutieren. Ist es verhältnismäßig, eine Kassiererin nach mehr als 30 Jahren im Unternehmen zu kündigen, wenn sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlägt?

Das Berliner Landesarbeitsgericht folgte der Argumentation des Arbeitgebers, der das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört sah. Wie gesagt, man kann darüber diskutieren. Sachlich. Aber in der aktuellen Debatte über das Urteil hat sich der wahrscheinliche Spitzenkandidat der Berliner Sozialdemokraten für die Bundestagswahl, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, völlig in der Wortwahl vergriffen. Thierse hatte das Urteil gegen die Supermarktkassiererin "barbarisch" und "asozial" genannt. Als sei die Entscheidung der Richter nicht aufgrund von juristischen Argumenten und einer Abwägung des Für und Wider gefällt worden. Damit hat er einen schweren Fehler begangen. Dabei ist er als Philosoph und Kulturwissenschaftler ein Mann des Wortes, der auch aufgrund seiner langjährigen politischen Erfahrung um den Wert der Sprache weiß. Thierse hat allerdings Begriffe gewählt, mit denen er nicht nur das Urteil kritisiert, sondern letztlich die Richter beschimpft. Deswegen schaltete sich gestern die Präsidentin des Berliner Landesarbeitsgerichts ein und stellte sich schützend vor ihre Richterkollegen. Nun ist Thierse auch noch der Vizepräsident des Deutschen Bundestags, was die Angelegenheit eigentlich noch schlimmer macht. Er müsste auch aufgrund seines Amtes vorsichtig mit Kritik an Richtern sein. Denn die richterliche Unabhängigkeit und die Gewaltenteilung gehören zu den höchsten Gütern des Rechtsstaats. Aber wir leben in Zeiten, in denen es modern geworden ist, Einzelfälle zu einer grundsätzlichen Kritik an dem Gesellschaftssystem zu machen. Hier die armen ausgebeuteten Arbeiter, dort die bösen Kapitalisten, denen die Rendite über alles geht. Die Linkspartei macht vor, wie billiger Populismus häufig funktioniert. Ja, keine Frage, es gab auch Auswüchse in der Finanzwelt. Hier sollte die Politik eingreifen. Wer allerdings, wie der CSU-Parteichef Horst Seehofer, auf dem politischen Aschermittwoch in bierseliger Stimmung die Kassiererin gegen die Banker ausspielt, agiert mit großem Risiko. Denn die Milliarden Euro, die der Staat für marode Banken gibt, sollen das System stützen, nicht die Banker. Ein solches populistisches Agieren einiger Politiker ist in einer Wirtschaftskrise wie dieser gefährlich. Dass Thierse gestern Abend seine Formulierung als "unverhältnismäßige Reaktion auf ein unverhältnismäßiges Urteil" relativierte, nimmt seine Worte nicht mehr aus der Welt. Äußerungen wie die von Seehofer und Thierse können ungeahnte Nebenwirkungen haben, deren Folgen beide sicherlich nicht beabsichtigten. Sie können ein Klima erzeugen, in der die freiheitlich-demokratische Grundordnung samt ihrer liberalen Wirtschaftsordnung in Frage gestellt wird.

Quelle: Berliner Morgenpost

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