Leipziger Volkszeitung zu Präsidentschaftswahlen/Frankreich
Archivmeldung vom 07.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Franzosen haben sich gegen das Gefühl und für das Rationale entschieden. Aus dem Bauch heraus betrachtet entsprach Ségolène Royal nach 12 Jahren profilloser Chirac-Selbstgefälligkeit am ehesten dem Wunsch der Franzosen nach einem Neubeginn. Bei der Wahl dominierte dann aber doch der kühle Kopf, der auf Bewährtes setzt, Recht und Ordnung vagen Weltverbesserungsideen vorzieht.
Der 52jährige Nicolas Sarkozy erscheint berechenbarer, ist zwar wegen
seines fast krankhaften Ehrgeizes nicht sonderlich beliebt, hat aber
eher den Ruf des Machers. Dem hatte seine Herausforderin nicht
sonderlich viel Substanzielles entgegenzusetzen. Mit
Vollbeschäftigung, geringeren Staatsschulden, besserem Bildungssystem
lagen die beiden Kandidaten bei ihren Wahlversprechen ohnehin fast
synchron. Staat oder Markt als Problemlöser lautete so die
entscheidende Frage für die Franzosen. In der Debatte um den Weg zum
Ziel hat es Ségolène Royal nicht geschafft, die Mehrheit von ihren
Vorstellungen und der Praktikabilität ihrer Priorität sozialer
Gerechtigkeit zu überzeugen. Der verzweifelte Versuch, das Ruder kurz
vor der Stichwahl noch herumzureißen war kontraproduktiv. Unter dem
Motto "Die Schöne oder das Biest" schürte sie Ängste, beschwor
Sozialchaos und Bürgerkrieg herauf, wenn Sarkozy in den Elysée-Palast
einzieht.
Wie groß die Erwartungen der Grande Nation an den Generationswechsel
im höchsten Staatsamt sind, zeigt die erneut hohe Wahlbeteiligung. So
wird die schwierigste Aufgabe für den neuen Amtsinhaber sein, wie er
seine Landsleute mehrheitlich hinter sich bekommt. Mit seiner Politik
des Polarisierens hat er geschickt eine rechnerische Mehrheit
überzeugt, auf dem Präsidentenstuhl muss er anderen Anforderungen
genügen. Dabei wird auch in Europa und Übersee genau verfolgt werden,
wie sein neuer französischer Realismus aussieht. In der europäischen
Schmollecke stehend wird Frankreich weder ein modernes
Selbstwertgefühl entwickeln, noch international verlorenes Gewicht
zurückgewinnen. Aktiv und handlungsfähig, so wünscht sich Europa das
neue Frankreich. Auch wenn der unter dem Motto "Vive la France"
dominierte Wahlkampf wenig Schlüsse auf die traditionell wichtigen
deutsch-französischen Beziehungen zulässt, dürfte feststehen, dass
Sarkozy sein Land wieder stärker und bestimmend in die EU einbinden
wird. Als Realpolitiker weiß er, dass der Anspruch Grande Nation sich
nicht in einer Nabelschau vollzieht.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung