Börsen-Zeitung: Hoffnungsschimmer
Archivmeldung vom 30.11.2017
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Freigeschaltet durch André OttAuch wenn britische Presseberichte schon einen anderen Eindruck vermitteln: Von einem Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen sind wir noch immer weit entfernt. Noch immer wird um alle wesentlichen Scheidungsmodalitäten gerungen. Allerdings sehen mittlerweile auch die Briten die Gefahr, dass der EU-Gipfel in zwei Wochen erneut feststellen muss, dass es nicht genügend Fortschritte gibt, um die nächste Verhandlungsphase zu beginnen.
Am Montag wird bereits eine Vorentscheidung fallen - denn dann läuft die letzte Frist für britische Zugeständnisse aus. Die Uhr tickt. Und deshalb gibt es hinter den Kulissen zurzeit viel Bewegung in den Gesprächen. Endlich, möchte man sagen, ist doch im letzten halben Jahr schon viel zu viel Zeit in wenig konstruktiven Verhandlungsrunden vertrödelt worden.
Bei der finanziellen Schlussrechnung gibt es aktuell wohl die größten Bewegungen. Es geht hier um die bis zum Austritt auflaufenden Zahlungsverpflichtungen Großbritanniens. Britische Zeitungen berichten bereits über eine Verständigung auf eine Berechnungsmethode, die zu einer Summe von 45 Mrd. bis 55 Mrd. Euro führen könnte. Auch wenn noch keine Details bekannt sind, so hört sich dies erstmals nach einer halbwegs realistischen Position an. In Brüssel war ja von Forderungen zwischen 60 Mrd. und 100 Mrd. Euro die Rede gewesen.
Sollte es wirklich gelingen, bis zur nächsten Woche den Zankapfel Abschlussrechnung vom Tisch zu bekommen, wäre dies ein Hoffnungsschimmer für die weiteren Brexit-Gespräche, wie auch aus den gestrigen Marktreaktionen herauszulesen ist. Mehr allerdings auch nicht. Denn auch wenn es hier um viel Geld geht - ein Kompromiss in der Finanzfrage war von Anfang an als möglich und wahrscheinlich einzustufen. Der eigentliche Knackpunkt der Verhandlungen - dies zeigt sich mittlerweile deutlicher denn je - ist das Problem der künftigen irisch-nordirischen Grenze.
Hier geht es um die Integrität des EU-Binnenmarkts auf der einen und die territoriale Integrität Großbritanniens auf der anderen Seite. Die Positionen sind unvereinbar. Man kann sich nicht einfach in der Mitte treffen, selbst wenn man wollte. Und wenn man nicht vorsichtig vorgeht, nimmt auch noch der im Karfreitagsabkommen von 1998 besiegelte Friedensprozess Schaden. Egal, wie eine Einigung im Endeffekt aussehen wird - Gewinner wird es keine geben. Es geht nur um Schadensbegrenzung. Die Irland-Frage steht damit symptomatisch für den ganzen Brexit.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Andreas Heitker