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Im Realitäts-Check

Archivmeldung vom 21.11.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.11.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Mit großer Zuversicht blicken Marktteilnehmer auf das kommende Jahr. Denn mit den Erfolgen in der Erprobung von Corona-Impfstoffen, die einen Schutz von rund 95 Prozent gezeigt haben, kann nun als sicher angenommen werden, dass die Pandemie überwunden wird und damit auch die Rückkehr zur Normalität 2021 beginnen wird. Den Dax hat die Impfstoffhoffnung, nachdem zuvor auch Unsicherheit über den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl weggefallen war, ausgehend von rund 12500 Zählern zu einem Schub von bis zu rund 700 Punkten verholfen, so dass er wieder Höhen oberhalb der Marke von 13000 Zählern erreicht hat.

Wenig verwunderlich haben vor allem Aktien besonders hart von der Pandemie und den dadurch ausgelösten Restriktionen betroffener Branchen positiv reagiert. So etwa die Aktien von auf Einzelhandelsimmobilien fokussierten Unternehmen wie Deutsche Euroshop, die nach der Erfolgsmeldung von Biontech und Pfizer um rund 50 Prozent zugelegt hat. Und die seit langem underperformenden zyklischen bzw. Value-Aktien haben auf die Überholspur gewechselt.

Extreme Zuversicht

Es gibt jedoch ein paar Schönheitsfehler, die das Bild ein wenig trüben. So hat die Zuversicht der Marktteilnehmer in den zurückliegenden Wochen Ausmaße angenommen, die jetzt die Frage aufwerfen, wo noch mehr Aufwärtspotenzial herkommen kann, und auch Warnsignale für die nächste Zeit geben. So hat die jüngste globale Fondsumfrage von Bank of America (BoA) gezeigt, dass die Fondsmanager die Aussichten für die Weltwirtschaft so zuversichtlich einschätzen wie seit dem Jahr 2002 nicht mehr. Sie haben umfangreiche Umschichtungen in Aktien getätigt, so dass der Anteil der in Dividendenwerten übergewichteten Fonds das höchste Niveau seit Januar 2018 erreicht hat. Der Durchschnitt der von den Umfrageteilnehmern angegebenen Kassaquoten sank im Vormonatsvergleich von 4,4 Prozent auf 4,1 Prozent. Ein Wert unterhalb von 4 Prozent würde ein Verkaufssignal generieren. Das US-Institut hat europäische Aktien daher auch auf "Neutral" zurückgestuft und hält eine Korrektur in einer Größenordnung von 10 Prozent für möglich.

Die Marktteilnehmer haben die sich abzeichnende Überwindung der Pandemie bereits ein gutes Stück weit vorweggenommen. Sie sehen Licht am Ende des Tunnels. Leider ist das Ende des Tunnels aber in weiter Ferne, und das Licht droht in nächster Zeit wieder zu erlöschen. Anders ausgedrückt: In den kommenden Wochen müssen die Marktteilnehmer durch einen harten Realitätscheck. Zum Start der kalten Jahreszeit breitet sich das Coronavirus in Europa und mehr noch in den USA, wo zuletzt mehr als 2000 Menschen an einem Tag an Covid-19 gestorben sind, in einem sehr beunruhigendem Ausmaß aus. Die Folge sind immer mehr Restriktionen und eine stetig steigende Wahrscheinlichkeit eines erneuten harten Lockdown. Nach der sehr starken Erholung der Konjunktur und der Unternehmensgewinne im dritten Quartal droht ein empfindlicher Rückschlag. Realität ist derzeit nicht die Überwindung der Krise durch einen Impfstoff, sondern eine Verschlimmerung der Pandemie.

Das ist eine schlechte Nachricht für ebenjene Unternehmen, die besonders stark unter Corona leiden, wie etwa Deutsche Euroshop. Selbst ohne Ladenschließungen droht das für den Einzelhandel so wichtige Weihnachtsgeschäft erheblich zu leiden, weil Menschen wegen wirtschaftlicher Risiken ihre Ausgaben zurückfahren und/oder aus Angst vor Infektion dem Online-Handel den Vorzug geben. Auch für andere einschlägige betroffene Sektoren wie die Reise- und Freizeit- sowie die Flugzeugbaubranche könnte die Lage in den kommenden Wochen noch prekärer werden.

Eine Korrektur wäre aber erneut nichts anderes als eine Einstiegsgelegenheit. In absehbarer Zeit werden nicht nur die Impfungen beginnen, ab dem Frühjahr wird außerdem das wieder wärmere Wetter das Virus eindämmen. Damit wird auch das Vertrauen in die wirtschaftliche Erholung wieder gestärkt werden. Die Notenbanken werden weiter mit Anleihekäufen stützend eingreifen und auch in einer beginnenden wirtschaftlichen Erholung die Zinsen niedrig halten. Der Mangel an Alternativen zu Aktien wird in diesem Umfeld erhalten bleiben. Nicht zuletzt wird auch das Washingtoner Kasperletheater bald enden, so dass das US-Fiskalpaket nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen dürfte, flankiert von einem Präsidenten, der seine Zeit nicht auf dem Golfplatz verplempert, sondern sich ernsthaft mit der Pandemie beschäftigt.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots)

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