LVZ-Kommentar zu CSU/Seehofer
Archivmeldung vom 20.07.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer bayrische Löwe brüllt wieder. In weiß-blauen Bierzelten mag man sich erleichtert noch eine Maß mehr gönnen und zufrieden der CSU zuprosten. Doch der Löwe hinterm Weißwurst-Äquator heißt heute nicht Franz-Josef Strauß sondern Horst Seehofer. Und der, man erinnert sich, sprang schon öfter als kraftstrotzendes Raubtier ab, um als geschrumpfter Bettvorleger vorm Kanzleramt zu landen.
Im Bäumchen-wechsle-dich-Spiel ist Seehofer ein Meister seines Fachs. Grüne Gentechnik? Als Bundesagrarminister "Genhofer" noch dafür, als bayrischer Ministerpräsident strikt dagegen. Rentenkritik? Gegen den Garantie-Unfug aus dem SPD-Scholz-O-Maten lässt sich gut wettern. Doch wenn sich der Sozialpolitiker in Seehofer regt, dann wird Parteifreund Singhammer alsbald zurückgepfiffen, der Rentnern einen Urlaubsverzicht als friedensstiftenden Solidar-Beitrag nahelegte. Die organisierte Entrüstung der reiselustigen Senioren wird schon dafür sorgen. Der Gängelpreisträger des Jahres 2004, der den zweifelhaften Preis für die vorrangige Bearbeitung eigener Interessen erhielt, schert sich wenig um sein Geschwätz von gestern. Das macht ihn für Angela Merkel zum Mister Unheimlich. Die Physikern des Machterhalts kann mit dem Bruder Leichtfuß in der Unionsfamilie wenig anfangen. Wo Seehofer ein Näschen für stimmenträchtige Reizthemen zeigt, reagiert Merkel verschnupft. Natürlich ist es Quatsch, vor jedem EU-Beschluss Bundestag und Bundesrat zu befragen. Der schwerfällige Tanker Europa würde endgültig auf einer Sandbank der wechselnden Interessen festsitzen. Aber die verbreitete Angst, von Brüsseler Bürokraten entmündigt zu werden, lässt sich nach der Bundesrichter-Schelte zum Lissabon-Vertrag prima mit der Maximalforderung "Karlsruhe plus X" bedienen. Seehofer wird sich seine neue Lufthoheit über die Stammtische so schnell nicht nehmen lassen. Allerdings gönnt sich die Kanzlerin auch ein zufriedenes Lächeln über das brüchige Vater-Ziehsohn-Verhältnis von Seehofer und Guttenberg. Der galante Jungstar, der auf marktwirtschaftlichen Prinzipien reitet oder Pinguin-Krawatten verschenkt, ist in Topform. Mit jeder neuen Pirouette auf dem politischen Parkett macht sich der Freiherr freier von Vorgaben aus München. Der Parteitagsdämpfer für den CSU-Chef wird diese Emanzipation weiter beflügeln. Horst Überall wird an der Bundestagswahl gemessen. Selbstbewusst gibt er die CSU-Zielmarke von 49 Prozent aus. Das wird noch ein gutes Stück Arbeit. Und die Gefahr ist nicht unbegründet, dass sich der sprunghafte Löwe noch heiser brüllt.
Quelle: Leipziger Volkszeitung