WAZ: Regierungschef auf Investitionstour
Archivmeldung vom 07.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittImmer wenn hochkarätige Gäste aus China zu Besuch sind, lächeln die Gastgeber süßsauer. China ist wie der unbeliebte reiche Onkel. So richtig gern sitzt man nicht mit ihm an einem Tisch, aber sein dickes Konto macht die Verwandtschaft geschmeidig. China hat Geld. Die Chinesen verfügen über gewaltige Devisenüberschüsse und kaufen sich ein - in Afrika, Amerika und nun auch in Europa. Sie haben Volvo übernommen, ihnen gehört der Hafen Piräus in Griechenland und am Samstag kündigte Regierungschef Wen Jiabao an, den darbenden Griechen mit Milliarden-Investitionen unter die Arme greifen zu wollen.
China als Wohltäter in der Not für Griechenland und Europa? Die Regierung in Peking gefällt sich in der Rolle. Wen Jiabao genießt die roten Teppiche, die für ihn ausgerollt werden. Doch Wen ist nicht von Barmherzigkeit getrieben. Er verfolgt ureigene Interessen. Beispiel Afrika: Die Wirtschaft in China boomt, und das Riesenreich sichert sich durch seine Investitionen in rohstoffreiche Länder den Zugriff auf Öl, Kupfer, Eisenerz, Mangan oder Gold. Die Chinesen bauen Häfen, Autobahnen, Eisenbahnnetze. Sie kümmern sich nicht um Menschenrechtsdiskussionen. Sie machen Geschäfte. Mit Despoten, korrupten Regimen oder Islamisten. Gut oder böse? Egal. So unterläuft China alle Demokratiebemühungen der europäischen Entwicklungspolitik und macht Kasse. Beispiel Europa: Die Regierung in Peking sitzt auf enormen Dollar- und Euro-Reserven, die durch den Exportüberschuss täglich anwachsen. Das Land besitzt die weltweit größten Währungsreserven - Geld, das investiert werden muss und nicht durch Dollar- und Euroverfall dahinschmelzen soll. Die Stabilisierung der Märkte in Europa (und Amerika) ist deshalb auch für China von enormer Bedeutung. Doch die scheinbar gleichen Interessen täuschen über gewaltige Probleme hinweg. Das größte ist die europäische Uneinigkeit. Es gibt einen Wettstreit um die Investitionen, Rivalitäten um die Gunst des reichen Onkels. Und die Regierung in Peking ist genau informiert, welches EU-Land welche Chinapolitik verfolgt. Sie versucht mit ihren Investitionen, Keile in die EU zu treiben. Das fällt nicht einmal schwer. Denn es gibt keine europäische Chinapolitik, aber wachsende Abhängigkeiten. Das erhöht das chinesische Druck- und Drohpotenzial, wenn es - beispielsweise - im UN-Menschenrechtsrat um Chinas Tibetpolitik geht. Ob sich Europa tatsächlich auseinanderkaufen lässt, ist noch nicht entschieden. Sicher ist aber: Europas Schwäche macht China stark.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung