WAZ: RAF-Geschichte ist nicht zu Ende
Archivmeldung vom 23.04.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn der öffentlichen Wahrnehmung war die Rote Armee Fraktion fast schon Geschichte. Die RAF löste sich 1998 offiziell auf. Danach ist von deutschen Terroristen, so weit man weiß, keine Gefahr mehr ausgegangen. Dennoch ist dieses dunkle deutsche Kapitel keineswegs zu Ende.
Und dies nicht nur, weil nun durch neue Zeugen-Aussagen die
Rechtsprechung im Fall Buback plötzlich doch noch einmal in Frage
steht. Weil dadurch das Verhalten der Justiz wie der
Sicherheitsbehörden in einem, seien wir vorsichtig, diffusen Licht
erscheint. Weil einmal mehr deutlich wird, wie verblendet die
Terroristen waren - und bis heute noch sind. Der sogenannte deutsche
Herbst und seine justizielle wie historische Bewertung ist auch darum
noch keine abgeschlossene Angelegenheit, weil die allermeisten der
Morde noch nicht aufgeklärt sind. Nicht der am früheren
Siemens-Vorstand Beckurts, auch nicht der am Deutsche-Bank-Chef
Herrhausen, ebensowenig die Schüsse auf Rohwedder in Düsseldorf. Und
auch die Ermittlungsakte Schleyer ist noch nicht geschlossen. Das
liegt eben auch an der ideologischen Verblendung der Täter, ihrer
Wagenburg-Mentalität, ihrem, vielfach bis heute bestehenden tiefen
Misstrauen in den deutschen Rechtsstaat. Sie helfen nur insofern an
der Aufklärung längst vergangener Taten mit, als sie selbst nach
eigenem Gusto dies für richtig befinden.
Von den 22 Gewalttaten der RAF der sogenannten dritten
Generation, die sie zwischen 1984 und 1998 verübte, sind erst zwei
(!) aufgeklärt. Die Terroristen haben 33 Menschen auf dem Gewissen;
wer wen genau, ist immer noch Sache der Ermittler.
Politiker aller Parteien fordern nun, wieder neu zu ermitteln.
Für die Behörden, die Bundesanwaltschaft, den Verfassungsschutz, das
Bundeskriminalamt, werden es Recherchen in eigener Sache werden. Das
könnte durchaus unangenehm werden. Denn: Hielten die Ermittler
tatsächlich Informationen zurück, was dann ganz offensichtlich zu
Fehlurteilen führte? Muss ein ganzes Verfahren neu aufgerollt werden?
Im Hintergrund schwebt wieder die ewige, große Frage: Wie groß war damals, wie groß darf heute das Eigenleben von Geheimdiensten sein? Inwieweit sollten sie aus eigenem Interesse, etwa um ihre Zeugen bzw. Kronzeugen zu schützen, Ermittlungsergebnisse zurückhalten dürfen? Eins ist aber auch klar: Zu einer Revision der Geschichte taugen die jetzigen Erkenntnisse nicht. Es bleibt klar, wer Täter war und wer Opfer.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung