Rheinische Post: Ferien von der großen Koalition
Archivmeldung vom 29.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIrgendwie sah Angela Merkel diesmal erleichtert aus, als sie sich in den Sommerurlaub verabschiedete. Anders als in den vergangenen Jahren verriet ihr Umfeld jedoch nicht, wo sich Frau Merkel entspannt - ob in ihrem eigenen Ferienhäuschen in der Uckermark oder ob es sie wieder zum Wandern nach Norditalien zieht wie in den vergangenen Jahren.
Selbst auf ihren schon traditionellen Besuch bei der
Wagner-Premiere verzichtete sie dieses Jahr. Sie komme im Herbst nach
Bayreuth, hieß es aus Berlin. Wahrscheinlich lautet das Kalkül der
Medienberater der Kanzlerin, dass sie die Öffentlichkeit besser nicht
mit heiteren Urlaubsfotos vergrätzt, wo doch vielen Deutschen und
auch den Merkel-Anhängern schon länger das Lachen vergangen ist.
Gut acht Monate ist Merkels große Koalition inzwischen im Amt, und
viele Erwartungen der Deutschen an diese Koalition sind nicht erfüllt
worden. Dabei war nach dem Patt am Wahlabend des 22. September 2005
eigentlich mit jedem Tag der Koalitionsverhandlungen die Erwartung
gewachsen, die beiden Volksparteien würden sich gemeinsam dazu
durchringen, die überfälligen Reformen in Deutschland anzupacken.
Große Koalition = große Wirkung, so dachten die Wähler. Die Rechnung
ist nicht aufgegangen. Die Koalitionäre haben sich vielmehr
verständigt, mit vielen kleinen Schritten einen Umschwung schaffen zu
wollen. Das ist bislang nicht gelungen. Zwar gibt es ein paar
Arbeitslose weniger, meldet die Wirtschaft etwas bessere
Auftragszahlen der große Ruck im Land blieb aus. Und wenn man in den
ersten Monaten der großen Koalition mal so etwas wie Bewegung spürte,
dann war das während der Fußball-Weltmeisterschaft, als die
Nationalelf weitaus besser spielte und abschnitt als erwartet.
Von solch einem Triumphzug, wie ihn die deutschen Kicker erlebten,
können die Kanzlerin und ihre Koalitionspartner nur träumen. Mit
Blick darauf, im Poker um Sachentscheidungen gegenüber der jeweils
anderen Partei nicht als Verlierer dazustehen, mixten CDU/CSU und SPD
ihre Konzepte und schufen daraus ein unverdauliches Gebräu. Nur ein
Beispiel: die Reform des kränkelnden deutschen Gesundheitswesen. Wenn
die Deutschen zum Arzt gehen, ist das zu teuer, zu bürokratisch und
ineffizient. Die Antwort der Merkel-Regierung darauf war keine Reform
an Haupt und Gliedern, sondern ein hilfloses Herumdoktern. Am Ende
staunten die Deutschen über eine Reform, die sowohl liberale wie
sozialistische Elemente beinhaltet. Eine neue Behörde muss gegründet
werden, und die Beiträge zur Krankenversicherung steigen.
Da hält sich der Beifall in Grenzen. Und deshalb ist es wohl so, dass
die Deutschen ganz froh sind, dass ihre Kanzlerin und die meisten
ihrer Minister erstmal Urlaub machen. Wer nichts tut, macht auch
nichts verkehrt, lautet die neue Gleichung. Mal sehen, ob wenigstens
die aufgeht.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post