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Ende der Illusionen

Archivmeldung vom 17.12.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.12.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić

Das Schlimmste schien vorüber zu sein. So lässt sich die Stimmung an den Aktienmärkten beschreiben, wie sie vor den Notenbanksitzungen der zu Ende gehenden Handelswoche praktisch allerorten zu finden war. Der Dax war bereits wieder zeitweise bis über 14 500 Punkte geklettert. Zumindest bei der US-Notenbank­ Federal Reserve schien das Ende der Leitzinsanhebungen bereits sichtbar zu werden, zumindest aber eine deutliche Verlangsamung des Tempos, mit dem die Fed vorgeht. Damit schien auch klar zu sein, dass die Rezession in den USA und möglicherweise auch in Europa nicht so schlimm ausfällt wie einige Mo­nate vorher noch befürchtet.

Lichtblicke auch in Asien: China gibt die bislang strikte Bekämpfung der Covid-19-Pandemie auf, was die Konjunktur antreiben sollte. Eine gewisse Entspannung für Unternehmen und Verbraucher zeichnete sich auch an den Energiemärkten ab. Die Gasspeicher in Europa waren randvoll, die Witterung milde. Und mit der Verhängung und dem Inkrafttreten der Preisobergrenze für russisches Öl durch G7 und EU kam es nicht zu dem befürchteten Preissprung, ganz im Gegenteil: Der Brent-Ölpreis sank kürzlich sogar auf ein Jahrestief.

Am Donnerstag ist nun vielen Marktteilnehmern klar geworden, dass dieses Szenario, das man vielleicht als "Goldilocks innerhalb der Krise" umschreiben könnte, eine Illusion war. Dax und Euro Stoxx 50 brachen um mehr als 3% ein. Dazu bedurfte es zum einen der Hinweise, die Fed-Chairman Jerome Powell tags zuvor gegeben hatte, sowie zum anderen für die europäischen Märkte vor allem der Europäischen Zentralbank, die sich am Donnerstag deutlich aggressiver positionierte als von den Marktteilnehmern erwartet. Wenngleich Fed und EZB nur jeweils um 50 Basispunkte anhoben, haben sie doch deutlich gemacht, dass die Phase der Zinserhöhungen länger dauern wird als von den Märkten antizipiert. Damit ist auch klar, dass durch die verschärften Bremsmanöver der Notenbanken die Rezession schwerer wird als angenommen und dass sowohl Fed als auch EZB gewillt sind, das zu akzeptieren.

Die Notenbanken wollten konzertiert ein Zeichen setzen. Wie George Saravelos vom FX-Research der Deutschen Bank schreibt, wollen die Zentralbanker die Finanzmärkte davon abhalten, die Politik steigender Zinsen zu unterminieren. Der massenweise Kauf von Risiko-Assets bewirkt eine Lockerung der Konditionen an den Finanzmärkten, die sich damit de facto dem antiinflationären Ansatz der Notenbanken entgegenstellen. Saravelos glaubt, dass nach den Verbraucherpreisen nun die Lage an den Arbeitsmärkten die Hauptaufmerksamkeit der Zentralbanken beansprucht. Dem ist zuzustimmen, denn erst wenn dort die Rezession greift und der Auftrieb der Löhne und Gehälter verhindert oder umgekehrt wird, können die Notenbanken für sich beanspruchen, die Inflation im Griff zu haben.

Dies läuft auf zusätzliche Belastungen für die von der Krise bereits hart getroffenen Verbraucher hinaus. Die Folgen für die Aktienmärkte sind ebenfalls klar. Zwar waren sinkende Inflationsraten zu­meist positiv für Aktien, schreibt Aktienstratege Uwe Streich von der LBBW, weiter steigende Leitzinsen jedoch nicht: "Die Ge­mengelage lässt deutlich sinkende Margen und Rentabilitätszahlen der Unternehmen be­fürchten."

Aber es trübt sich auch das Umfeld für die Aktienmärkte wieder ein. Der Gasverbrauch in Europa hat deutlich zugenommen, so dass Engpässe im Spätwinter nicht auszuschließen sind. Die Preisobergrenze für russisches Öl dürfte wegen des Auslaufens von zeitweiligen Erleichterungen doch noch eine preistreibende Wirkung auf dem Ölmarkt entfalten, und zwar allerspätestens mit der Zündung der zweiten Stufe der Sanktionen ab dem 5. Februar. Auf dem Gebiet der Energieversorgung steht der EU die eigentliche Prüfung also noch bevor. Und angesichts der immer weitergehenden Eskalation ist es auch keineswegs auszuschließen, dass es doch noch zu einem direkten militärischen Konflikt zwischen Nato und Russland um die Ukra­ine kommt.

Auf der Habenseite ist allerdings zu verbuchen, dass die Bewertungen an den Aktienmärkten schon deutlich nachgelassen haben, das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dax auf Basis der Erwartungen für 2022 liegt bei lediglich 11,4. Damit ist zumindest nicht zu erwarten, dass es zu einem Kurssturz am europäischen Aktienmarkt kommt - zumindest dann nicht, wenn sich der Ukraine-Krieg nicht stark ausweitet. Allerdings ist davon auszugehen, dass die allerorten positiven Erwartungen für den europäischen Aktienmarkt im neuen Jahr deutlich nach unten korrigiert werden müssen.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots)  von Dieter Kuckelkorn

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