WAZ: Zumwinkel, Nokia, usw.: Unternehmer und ihre Verantwortung
Archivmeldung vom 15.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWas verbindet den Fall Zumwinkel, die Bankenkrise und Nokia in Bochum? Genau: Gier. Die Entfesselung dieser tief menschlichen Untugend hat dramatische Folgen, und längst kommt man nicht mehr damit hin, das alles unter der Überschrift "bedauerliche Einzelfälle" zu betrachten.
Man muss sich vielmehr ernsthaft Sorgen machen um unsere Soziale
Marktwirtschaft. Mit großer Geschwindigkeit wächst ein
kulturell-mentales Umfeld heran für Anti-Marktwirtschaft, für den
Glauben an den Staat als Retter in der Not, für die Hoffnung auf Ruhe
stiftende, nationale Abschottung gegen die stürmische Welt da
draußen. Früher, also noch vor 20 Jahren, da war Marktwirtschaft:
Wohlstand, Aufstieg, Chancenreichtum. Heute fallen den Bürgern ein:
Massenarbeitslosigkeit, Bereicherung, wachsende Ungleichheit. Und
eine große Story, die die Globalisierung schreibt, lautet eben auch:
Wer Kapital besitzt, kann sein Geld vervielfachen. Wer kein Kapital
hat, muss Angst haben vor Abstieg.
Und die wirtschaftlichen Akteure sind Schuld daran. Allzu oft
werden sie ihrer Verantwortung nicht gerecht. Und zwar nicht nur
gegenüber den Beschäftigten, was ja immer gesagt und beklagt wird,
sondern auch, was viel zu selten, wenn überhaupt, mal öffentlich
erklärt wird: im Hinblick auf ihre Arbeitgeber-Kollegen. Ein Manager,
der Steuern hinterzieht, oder der "essert", also den Hals nicht voll
kriegen kann, Bank-Manager, die an der Börse ihren eigenen Bonus
hochjagen wollen ohne Rücksicht auf das Schicksal ihrer eigenen Bank
oder eben brutalstmöglich: Nokia - sie glauben immer, sie handelten
für sich allein. Aber so ist es nicht. Immer schreiben solche Leute
Nachrichten, die über sie selbst hinausreichen. Und immer haben die
Nachrichten Schlagzeilen. Und stets sind es dieselben: Managern
kannst du nicht trauen. Unternehmer sind herzlose Renditejäger.
Marktwirtschaft ist Mist. Und so weiter.
Aus dem Biedermeier, also den Anfängen freien Unternehmertums,
stammt das Leitbild des "Ehrbaren Kaufmanns". Wir brauchen eine
Wiedergeburt dieses ethischen Standards. Wer Betriebswirtschaft
studiert, sollte nicht nur die Kunst des Geldvermehrens erlernen,
sondern auch: dabei ein anständiger Mensch zu bleiben.
Wer die Marktwirtschaft retten will vor den Verführern, die
versprechen, was sie nie halten können, der muss offen sein für eine
Reform des Systems. Ein Schritt wäre, (angestellte) Manager für
Fehler haften zu lassen. Ein anderer, wenn Nokia mit tollen
Arbeitsplätzen zurück nach Bochum käme.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulrich Reitz)