Börsen-Zeitung: Verlockende US-Bewertung, Kommentar zu Siemens
Archivmeldung vom 04.08.2017
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Freigeschaltet durch André OttDie Zukunft der Medizintechnik beschäftigt Siemens schon lange. Erst wurde die Division selbständig aufgestellt, dann im vergangenen November die Börsennotierung angekündigt. Seitdem hat sich das Management viel Zeit gelassen, die Pläne zu konkretisieren. Nachdem der Zusammenschluss mit einem börsennotierten Konkurrenten nicht geklappt hat, soll die Division im nächsten Jahr per IPO aufs Parkett gehen.
Für den Kapitalmarkt ist die Erstnotiz ein Riesending, schließlich könnte ein Emissionsvolumen in zweistelliger Milliardenhöhe auf die Investoren zukommen. Deutschland allerdings droht leer auszugehen. Das Management hat sich zwar noch nicht öffentlich festgelegt, präferiert aber eine Notierung in den USA.
Lokalpatriotismus mag in der globalisierten Welt fehl am Platze sein. Trotzdem entginge mit einer möglichen US-Notierung dem Finanzzentrum Frankfurt die Chance, sich weiter zu stärken. Schließlich hätte die heutige Siemens-Sparte gute Chancen, in den Leitindex Dax einzuziehen. Stattdessen würden künftig US-Investoren großen Einfluss gewinnen - zumal es keine ausgemachte Sache ist, dass Siemens längerfristig die Mehrheit hält. Die Medizintechnik müsste sich darüber hinaus komplett den rechtlichen Regularien in den Vereinigten Staaten unterwerfen. Der Siemens-Konzern hat sich mit guten Gründen diesem Korsett durch das Einstellen seines New Yorker Listings entzogen.
Letztlich zählt aber für Siemens nur die Bewertung. In den USA winkt mehr Geld pro Aktie. Ein Jammer aus deutscher Sicht, aber auch ein Faktum. Je höher die Bewertung, umso leichter kann die Sparte ihre künftige Expansion finanzieren. Außerdem bietet der amerikanische Aktienhandel für Medizintechnikwerte potenziell eine höhere Liquidität. Die USA sind außerdem ein wichtiger Absatzmarkt der Siemens-Sparte.
Der eigenständige Weg der Medizintechnik ist bereits so lange vorgezeichnet, dass er kaum mehr hinterfragt wird. Dabei ist dies ein enormer Einschnitt in der Siemens-Historie. Einerseits ist die Trennung folgerichtig, schließlich gibt es kaum Synergien zum industriellen Kerngeschäft. Andererseits hat die Sparte mit ihrem berechenbaren und wenig konjunktursensiblen Geschäft in den vergangenen Jahren den Konzern immer dann stabilisiert, wenn eine Wirtschaftskrise hereinbrach. In der Zukunft werden die Erträge und vor allem der hohe Cash-flow teilweise fehlen. Damit könnte Siemens volatiler werden. Dies lässt sich nur verhindern, wenn der auf den Eigentümer entfallene Emissionserlös gut eingesetzt wird.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Michael Flämig