Allg. Zeitung Mainz: Im Wolkenkuckucksheim - Zur EU-Verfassung
Archivmeldung vom 15.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFrau Merkel hat gar keine Wahl. Die Kanzlerin und amtierende Ratspräsidentin muss vor einem Scheitern des europäischen Verfassungsvertrags warnen, auch wenn sie weiß, dass diese Mahnung in den Wind gesprochen ist. Ein Wunder müsste geschehen, wenn sich die vielfältigen Vorbehalte gegen eine gemeinsame Konstitution in letzter Minute noch ausräumen ließen.
Beispiel Polen: Es ist den Nachbarn
doch ohne besondere Mühe nachzuempfinden, dass sie ihre soeben erst
zurückgewonnene Selbstständigkeit, das Wiedererblühen eines
selbstbewussten Staatsgefüges nach all den insgesamt Jahrhunderte
langen Leiden nicht postwendend wieder zur Disposition stellen
wollen, auch wenn die Europäische Union und der alte Ostblock absolut
nichts gemeinsam haben. Es wird deshalb auch kaum reichen, im Blick
auf den Brüsseler Gipfel die Staats- und Regierungsspitze formal
diplomatisch einzubinden und gegebenenfalls auf einen Fahrplan zu
verpflichten. Wenn die Bevölkerung nicht mehrheitlich mitspielt, wird
all das vergebliche Liebesmüh bleiben. An breiter Akzeptanz mangelt
es dem Verfassungsentwurf aber auch in einer Reihe anderer Staaten.
Eine Abstimmung in Deutschland, wenn es sie denn gäbe, würde
vermutlich nichts anderes belegen. Bürgernähe wird aus Brüsseler
Sicht bis heute nicht so verstanden, wie „der Bürger“ sie
landläufig verstanden haben will. Die Ameisen in der Brötchentüte
gehen die EU-Bürokraten nun mal nichts an. Dafür zuständig sind
deutsche Lebensmittelkontrolleure und vielleicht das Gesundheitsamt.
Brüssel muss sich derweil um spürbare Vereinfachungen,
Entbürokratisierung, Angleichung der sozialen Bedingungen und einen
gerechten Interessenausgleich für alle EU-Bürger kümmern. Eine
gezielte Ergänzung geltender Verträge könnte da schon sehr schnell
von Erfolg gekrönt sein. Alles andere sind Wolkenkuckucksheime. Die
Vereinigten Staaten von Europa jedenfalls finden auch auf lange Sicht
nicht statt.
Quelle: Pressemitteilung Allgemeine Zeitung Mainz