Leipziger Volkszeitung zu Söder/Hartz IV
Archivmeldung vom 28.08.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.08.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMan kann eigentlich schon danach die Uhr stellen. Immer im Sommer, wenn die innenpolitische Lage relativ ruhig ist, dann kommen die ungewöhnlichen, ja skurrilen Vorschläge. Früher sind es die Sozialhilfeempfänger gewesen, die zu Aufräumarbeiten an die Hochwasser-Front in die neuen Bundesländer nach der Jahrhundert-Flut geschickt werden sollten.
Dann die Idee, Langzeitarbeitslose mit
Graffiti beschmierte Brücken auf Hochglanz polieren zu lassen. Jetzt
sollen sie nach Vorschlag von Aufbau-Ost-Minister Wolfgang Tiefensee
als unbewaffnete Sheriffs im öffentlichen Nahverkehr patrouillieren.
Und wenn sich CSU-Generalsekretär Markus Söder durchsetzt, gibt es
demnächst auch keine Befreiung für Hartz-IV-Empfänger von der
Meldepflicht mehr - oder ihrem Urlaub, wie es der Christsoziale
provokant formuliert hat. Fehlt jetzt eigentlich nur noch der
Vorschlag zur Zwangsverpflichtung für die Reinigung der öffentlichen
Toilettenhäuschen. Das aber traut sich niemand, weil die inzwischen
meistens privatisiert sind. Die Berliner Wall AG etwa macht damit ein
gutes Geschäft und füllt auch noch die Steuerkassen.
Nun unterscheiden sich Söders und Tiefensees Vorschlag nochmal
deutlich voneinander: Während der Bayer schlicht auf eine
Verschärfung der Hartz-Gesetze abzielt und durch die Hintertür ein
Schmarotzer-Image vermittelt, könnte der Vorschlag des Sachsen
wohlwollend betrachtet auch dahingehend interpretiert werden,
Langzeitarbeitslose durch eine sinnvolle Tätigkeitin das Erwerbsleben
wieder einzugliedern.
Das wiederum ist es, was im Kern beide Vorschläge gemein haben, ob
mit der Brechstange oder mit sanftem Druck: Als Gegenleistung für die
von der Gesellschaft gezahlten Sozialtransfers sollen die
Leistungsbezieher arbeiten. Dies aber mit Bus-Patrouillen erreichen
zu wollen, darf getrost unter die Rubrik Populismus abgelegt werden.
Weit über vier Millionen Arbeitslose gibt es in diesem Land, viele
ohne Aussicht auf einen Job. Daran ändern auch schärfere
Hartz-Gesetze nichts. Dieses Märchen hat schon die Regierung Schröder
in die Welt gesetzt. Glauben zu machen, die Mehrzahl der
Langzeitarbeitslosen sei Drückeberger, ist genau so falsch und
unaufrichtig wie zu leugnen, dass es nach wie vor Missbrauch gibt.
Die Sozialleistungen in Deutschland sind im Vergleich zu anderen
Industriestaaten immer noch spitze. Auch das ist ein Teil der
Wahrheit.
Des Pudels Kern liegt aber woanders und wird durch die von Söder und
Tiefensee ausgelöste Diskussion noch nicht einmal ansatzweise
getroffen: In Deutschland gibt es im Niedriglohnbereich einfach zu
wenig Stellen. Die Arbeit ist zu teuer, da die Lohnzusatzkosten viel
zu hoch sind. Zusammen mit einer im kommenden Jahr abflauenden
Konjunktur sind das die Themen, die auf der Agenda der großen
Koalition stehen müssten. Nur über Strukturreformen,
Steuererleichterungen und eine zusätzliche staatliche Stimulanz der
Binnennachfrage kann dem entgegengewirkt werden und nicht durch
ausgebildete Bus-Sheriffs.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung