WAZ: Bundeswehr-Einsatz im Kongo: Viele Fragen sind völlig unbeantwortet
Archivmeldung vom 16.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFreie Wahlen in einem von jahrelangem Krieg und allgemeiner Rechtlosigkeit zerstörten Land militärisch absichern zu wollen, ist ein hehres Unterfangen. Wenn aber im Zusammenhang mit einem möglichen Einsatz der Bundeswehr im Kongo immer wieder von Kindersoldaten, Malaria oder gar dem Ebola-Fieber gesprochen wird, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Wahrnehmung der realen Lage in dem zentralafrikanischen Land von anderen Interessen getrübt wird.
Die nicht wirklich „Demokratische” Republik Kongo ist eine der
gefährlichsten Weltregionen. Dort sind die Tropenkrankheiten oder
auch vereinzelt marodierende Kindersoldaten nicht das wirkliche
Problem, so zynisch es auch klingen mag. Täglich sterben in dem
riesigen Land etwa 1000 Menschen direkt an Krieg oder durch Krieg
verursachte Unterernährung oder Erkrankungen. Alle drei Tage ist also
eine den Terroranschlägen von New York vergleichbare Opferzahl zu
beklagen, jede Woche, jeden Monat und das seit Jahren.
Im Kongo geht es nicht um die Bestätigung von ignoranten,
antiafrikanischen Vorurteilen; was sich dort abspielt, ist ein
brutaler Krieg um Rohstoffe und Einfluss-Sphären. Menschenrechte?
Irrelevant. Es sind nicht nur die afrikanischen Nachbarstaaten, die
den Kongo ausplündern, es sind auch Multis aus den USA und
Westeuropa. Zudem zeigt China seit längerem ein begehrliches
Interesse an den Bergbauvorkommen.
Der Kongo ist fast siebenmal größer als das wiedervereinte
Deutschland. Wenn die EU rund um die relativ sichere Hauptstadt
Kinshasa eine Eingreiftruppe von 1500 Soldaten abstellt, fragt man
sich unweigerlich: Ist das nicht nur reine Symbolpolitik? Eine
gefährliche obendrein? Im Osten des Landes sind die bereits
stationierten UN-Truppen überfordert. Es scheint also primär um die
internationale Position von Frankreich und Deutschland zu gehen.
Beide Staaten wollen offensichtlich ihre Bündnis- und
Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Um den Kongo geht es dabei
am wenigsten.
Zu viele Fragen sind völlig offen und unbeantwortet. Im Falle des
Konfliktfalles stünden den anvisierten 1500 Mann rund 16 000 Soldaten
der Präsidentengarde gegenüber, dazu kommen etwa 6000 Kämpfer eines
früheren Rebellenchefs, die vor der Hauptstadt campieren. Kann man so
Sicherheit garantieren? Wer regelt faire Wahlen in den
Dschungelregionen, wo Anarchie herrscht oder in den östlichen
Kriegsgebieten? Ist Präsident Kabila wirklich an Demokratie
interessiert oder versucht er lediglich, durch die Zusammenarbeit mit
dem Westen Pfründe für sich und seine Clique zu sichern? Als Indiz
für mögliche Antworten nur ein Faktum: Einheimische Kriegsverbrecher
wurden von Kabila kurzerhand und ohne viel Aufsehen schnell und
effektiv amnestiert.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung