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BERLINER MORGENPOST: Aus tiefer Sorge um Deutschland

Archivmeldung vom 25.08.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.08.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Das ist wahrlich keine reine Retourkutsche. Wer Helmut Kohls ungewöhnlich scharfe Kritik an der Politik Angela Merkels als bitterböse Rache eines alten Mannes abtut, der denkt zu simpel. Richtig ist, dass die damalige Generalsekretärin und heutige Bundeskanzlerin mit ihrem mittlerweile auch historisch bedeutsamen Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 22. Dezember 1999 Kohl das politische Genick gebrochen hat. Damals rief sie im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre die CDU zum Bruch mit dem Übervater auf. Seitdem ist ihr Verhältnis - freundlich formuliert - getrübt.

Aber der Grund, sich seine Sorgen jetzt öffentlich so drastisch von der Seele zu reden, ist ein tieferer. Kohl sorgt sich um eines seiner politischen Vermächtnisse - die Einigung Europas. Und er sieht einen Grundpfeiler deutscher Nachkriegspolitik zumindest seiner CDU in Einsturzgefahr: deutsche Politik sei innen- wie außenpolitisch keine berechenbare Größe mehr. Auf sie sei kein Verlass mehr, sie habe keine Prinzipien und damit keine Werte mehr. Weltpolitisch irrlichtere sie und lasse ihre Verbündeten an notwendiger Treue zweifeln. Ein vernichtender, aber kein konstruierter, wenn auch nicht ganz neuer Befund. Was ihn aus dem Munde Helmut Kohls so brisant macht, ist die Tatsache, dass viele in der CDU so denken. Auch unsere wichtigsten Verbündeten stellen sich längst die Frage, welch ernst zu nehmender Partner Deutschland noch ist. Vor ein paar Tagen die Philippika des früheren Stuttgarter Ministerpräsidenten Erwin Teufel, jetzt die alarmierende Lagebeschreibung Helmut Kohls - beide treffen mitten ins blutende Herz der CDU, beide fokussieren die Unzufriedenheit vieler Parteimitglieder wie unionsnaher Wählerschichten. Druck von ganz oben, Druck von unten, Druck auch noch von der Seite. In der CDU brodelt es. Und ein Entweichen des Drucks ist für Angela Merkel auch zu Beginn der zweiten Hälfte der Legislaturperiode nicht zu erkennen. Zu leugnen ist das alles nicht. Die Kritik der Altvorderen wie Teufel und Kohl korrespondiert mit den von der Parteivorsitzenden verordneten Regionalkonferenzen. Die sollen die Basis ruhigstellen. Die Fraktionssondersitzung der Bundestagsabgeordneten in dieser Woche noch mitten in der Sommerpause ist ein Warnsignal dafür, wie wenig überzeugt auch viele eigene Volksvertreter von der gegenwärtigen Euro-Krisenpolitik und damit auch von Angela Merkels Rolle auf der europäischen Bühne sind. Und wäre das nicht alles schon schlimm genug, setzt der Bundespräsident mit seiner Schelte an den vermeintlichen Euro-Rettern jetzt - wie weiland sein Vorgänger Horst Köhler - noch eins drauf. Zwei Jahre vor der Bundestagswahl eigentlich eine Lage, wie zum Putsch geschaffen. Den allerdings muss Angela Merkel kaum fürchten. Es gibt keine Putschisten mehr in der CDU. Alle potenziellen Aufrührer haben vor der starken Frau resigniert. Friedrich Merz weg, Koch weg; in ihren besten Jahren in die Wirtschaft gewechselt. Und Christian Wulff ließ sich in das höchste Staatsamt befördern. Auch deshalb wirkt die Kanzlerin zumindest nach außen noch immer so gelassen. Gefährlich aus heutiger Sicht wird es für sie erst an einem September-Abend 2013. Wenn die nächste Bundestagswahl ausgezählt ist.

Quelle: BERLINER MORGENPOST (ots)

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