LVZ: Leipziger Volkszeitung zur Gesundheitsreform
Archivmeldung vom 07.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDrei von fünf Bürgern sind mit der schwarz-roten Reformarbeit unzufrieden. Es hätte Merkel und Müntefering noch schlimmer treffen können. Höhere Mehrwertsteuer, schnellere Rente mit 67, zusätzliches Geld für das Gesundheitssystem sind keine Muntermacher-Botschaften. Hinzu kommt, dass sich auf der Großbaustelle Arbeitsmarkt weit und breit kein Erfolg zeigt.
Aber es könnte auch sein, dass die neue
Regierung schon jetzt von einem Merkel-Prinzip profitiert, das die
alte Regierung nie begriffen hat:Selbst durch kleine Taten entsteht
mehr Vertrauen als durch große Worte. Die Menschen mitnehmen auf den
Reformkurs, nüchtern erklären, was geht und was nicht.
Wenn die große Koalition zum Schutz der Patienten und im Sinn eines
bezahlbaren Fortschritts dem Moloch Gesundheitssystem beikommen will,
dann müssen sich alle Weichensteller zunächst nach unten in den
Maschinenraum begeben. Nur da sind die Stellschrauben, mit denen man
die Ärztefunktionäre, die Pharmalobby und die Verbände-Kavalkade
beeindrucken kann. Allein die Pharmabranche gönnt sich vier Mal so
viel Spitzenlobbyisten wie das Bundesgesundheitsministerium steuernde
Beamte hat.
Keiner der Politiker kommt vorwärts, wenn jeder um seine eigene
Position sofort einen atombombensicheren Verteidigungsbunker aufbaut.
Die meiste Zeit und Kraft geht dann dafür drauf, halbwegs
gesichtswahrend wieder herauszukommen. Merkels Kopfprämie, in
Wahlkampfzeiten als neoliberales Höllenfeuer stigmatisiert, hat schon
die erste Etappe der Gesundheitsreform nicht mehr überlebt. Die
Bürgerversicherung, eine nur scheinbar einfache Solidarlösung mit
großer bürokratischer Schlagseite, hat die SPD schneller beiseite
gelegt, als sich Platzeck vom Hörsturz erholt. Im Ergebnis haben
jetzt die Koalitionsspitzen ein bemerkenswertes Fonds-Modell
anvisiert - und sie müssen nicht einmal mehr Scheingefechte führen.
Ein Gesundheitsfonds, in den, wie Wasser in einen Pool,
entdynamisierte Beiträge und am individuellen Leistungsvermögen
orientierte Abgaben fließen. Das wird dann den Groß-Unternehmer wie
den solventen Mallorca-Rentner treffen. Schließlich ist eine gute
Gesundheit auch mehr wert. Dazu kommt Versicherungsschutz und
medizinischer Fortschritt für alle. Die Sozis werden jubeln über den
Finanzierungs-Pool, den man genauso gut "solidarische Merkel-Prämie"
nennen könnte.
Eine Reform wird aus diesem zweiten Schritt erst, wenn sich die
Koalition an den ersten Schritt traut:Wettbewerb im System, ein
fairer Honorarausgleich von Kassenärzten und Privat-Liquidierern,
Schluss mit dem teuren Nebeneinander ambulanter und stationärer
Medizin, eine gerechtere Risikoverteilung zwischen den verschiedenen
Kassensystemen.
Verzichtete die große Koalition auf die Entschlackung des bestehenden
Systems, dann ist es keinen einzigen Euro zusätzlich wert - und
abgewählt gehörte dieser Verein der Schein-Reformer sowieso. Das
wollen weder Merkel noch Müntefering. Also besteht Hoffnung.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung