NSU Prozess – Beate Zschäpe: Offener Brief an Beate Zschäpe von Jürgen Elsässer
Archivmeldung vom 06.05.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWar sie Mitläuferin oder Herz der Gruppe? Oder irgendwas dazwischen? Fakt ist: Beate Zschäpe lebte im Untergrund, nutzte Tarnnamen und feierte mit Nachbarn nette Gartenpartys. Nun macht das OLG München der mutmaßlichen NSU-Terroristin den Prozess. Es wird bei diesem Prozess auch um die “Wahrheiten hinter den NSU Morden“ gehen – und letztlich wohl um ihr eigenes Leben, meint Jürgen Elsässer vom COMPACT-Magazin. Im folgenden sein offener Brief an Beate Zschäpe…
Liebe Beate Zschäpe,
ich habe Angst, dass Sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden. Ihre Münchner Zelle könnte Ihre Todeszelle werden, auch wenn die Todesstrafe bei uns abgeschafft ist.
Die Gefahr ist am größten, wenn die TV-Kameras, die zu Prozessbeginn auf Sie gerichtet waren, abgeschaltet sind. Wenn keiner mehr hinschaut.
Deswegen mein Appell: Reden Sie, solange Sie noch reden können. Reden ist Silber, Schweigen ist der Tod. Nur wenn Sie auspacken über Ihre Hintermänner, Auftraggeber und Verführer, sind Sie einigermaßen geschützt – denn das sind dieselben, die Ihnen am Liebsten für immer den Mund stopfen würden. Tote Zeugen reden nicht.
Das wahrscheinlichste Szenario ist ein Attentat im Gericht. Irgendein verzweifelter oder verstörter Rächer wird auf Sie losstürmen und Sie exekutieren. „Weil auf die deutsche Justiz kein Verlass ist“, wird er behaupten und seinerseits vermutlich freigesprochen werden. Vor Prozessbeginn wurde vieles dafür getan, ein solches Szenario möglich zu machen: Der Verhandlungssaal war von Anfang an zu klein gewählt, außerdem bewies die Münchner Justiz wenig Fingerspitzengefühl bei der Vergabe der Presseplätze. Schließlich heizten deutschfeindliche Kräfte in Politik und Medien – und zwar nicht nur in Istanbul und Ankara, sondern auch in Berlin und München – den Konflikt immer weiter an. In diesem Hexenkessel des hysterischen Antifaschismus wird sich kaum ein bayrischer Beamter trauen, gründliche Leibesvisitationen vorzunehmen oder gar einen Trauernden abzuweisen, nur weil der Metalldetektor piepst. Und schon ist eine Mordwaffe im Publikum…
Variante Nummer zwei: Nachts erscheint ein Schakal oder ein Grauer Wolf in Ihrer Zelle und hängt Sie, wie damals Ulrike Meinhof ans Fensterkreuz. Wobei ich das Beispiel Ulrike Meinhof nur hilfsweise gewählt habe, weil die RAF-Gründerin bekannter ist als Heinz Lembke, der Ihnen vermutlich politisch näher steht. Lembke soll die Waffen für das Oktoberfestattentat 1980 geliefert haben, bei dem 13 Menschen starben. Als der Inhaftierte versprach, am folgenden Tag auszupacken, fand man ihn im Morgengrauen aufgeknüpft in seiner Zelle. Daraus können Sie zumindest lernen, dass es lebensgefährlich ist, eine wichtige Aussage anzukündigen. Die müssen Sie überraschend machen, wenn Sie während der besten Sendezeit europaweit in alle Wohnzimmer übertragen werden.
Es wird Sie vielleicht wundern, dass ich als alter Linker so um Sie und Ihr Überleben besorgt bin. Abgesehen davon, dass ich die alten Kategorien links und rechts ohnedies für überholt halte, weil keiner heute mehr genau sagen kann, ob sich auf der Achse Brüssel-Berlin ein neuer Faschismus oder eine neue UdSSR herausbildet – abgesehen davon sind Sie mir irgendwie sympathisch. Nicht sympathisch ist mir der Neonazismus, mit dem Sie in Ihrer Jugend halb Jena erschreckt haben. Aber selbst wenn man alles Schlimme zusammenrechnet, was Sie bis zu Ihrem Abtauchen Anfang 1998 verbrochen haben, so waren das doch weitaus weniger Gewaltdelikte als beim jungen Joschka Fischer.
Anders verhält es sich mit den zehn Morden, die dem Nationalsozialistischen Untergrund seit dem Jahr 2000 angelastet werden. Ihre beiden Männer könnten bei einigen, wenn auch nicht bei allen dabei gewesen sein. Sind Sie die eiskalte Terroristin, die sie zum Killen geschickt und die ganze Logistik dafür organisiert hat? Nach ausführlicher kriminalistischer Recherche, vor allem in unserem Sonderheft COMPACT-Spezial, fand ich keinen Beleg dafür – sonst würde ich Ihnen diesen Brief nicht schreiben.
Was mich am meisten an Sie glauben lässt, sind die Berichte Ihrer Zwickauer Nachbarinnen. Selbst jetzt, wo Sie Staatsfeind Nr. 1 geworden sind, sprechen sie öffentlich mit ganz viel Zärtlichkeit über Sie… Dass Sie immer für die Kinder etwas mitbrachten, wie hilfsbereit Sie waren… „Die Sonne ging auf, wenn sie kam“, hat Ihre Freundin Heike K. gesagt. Einmal sollen Sie ihren Sohn zurechtgewiesen haben, als der etwas Rassistisches äußerte. Und auch mit dem griechischen Wirt in Ihrem Haus hatten Sie ein gutes Verhältnis, haben Ouzo getrunken und gelacht.
Irgendwie will mir nicht in den Kopf, dass ein Mensch, der den Eindruck eines Engels hinterlassen hat, ein Teufel gewesen sein soll. Oder bin ich naiv?
Kommentar von Jürgen Elsässer, Chefredakteur COMPACT-Magazin