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Der Dotcom-Vergleich hinkt

Archivmeldung vom 12.09.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.09.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Selbst die eingefleischten Technologie-Fans dürften sich am Dienstag erschrocken haben - wenigstens ein bisschen. Denn durch den Verlust des Nasdaq Composite von rund 4% schien sich die Hoffnung, dass der Einbruch des Index fünf Tage um 5% nur eine Episode war, an die man sich in ein paar Wochen nicht mehr erinnern würde, zu zerschlagen. "There's more pain to come", war in einer angelsächsischen Börsenfernsehsendung zu hören.

Das letzte Wort darüber, ob nach der 10-%-Korrektur innerhalb von nur drei Handelstagen der Boden gesehen worden ist oder eine länger anhaltende Schwäche, möglicherweise sogar eine Baisse folgt, ist noch nicht gesprochen. Aber wie wahrscheinlich ist Letzteres?

Es gibt durchaus Parallelen zur Dotcom-Blase vor rund 20 Jahren, die in einem furchtbaren Tech-Blutbad endete: Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Kursgewinne, die extrem hohe Outperformance gegenüber dem Rest des Marktes, die deutlich überdurchschnittliche Bewertung, die zunehmende Begeisterung der Öffentlichkeit für die Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle, die extrem starke Abhängigkeit der Rally von einer Hand voll Mega Caps mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 1 Bill. Dollar, der stark kurs-, aber eben nicht gewinntreibende Effekt der Aktien-Splits von Apple und Tesla etc.

Der Vergleich mit 2000 hinkt jedoch. Inzwischen sind zwei weitere Jahrzehnte vergangen, in denen sich die Digitalisierung stetig beschleunigt hat - und in der Coronakrise gibt sie nochmals Gas. Die Dotcom-Blase war teils von Unternehmen geprägt, deren Geschäftsmodelle eher grenzwertig waren. Für viele andere, absolut seriöse Geschäftsmodelle war die Zeit damals noch nicht reif. Ein ganz anderes Bild ergibt sich heute. Die großen Technologieunternehmen als Zugpferde der Hausse, in die das Gros der Anlegergelder fließt, haben funktionierende Geschäftsmodelle, weisen ein extrem hohes Gewinnwachstum auf und sind außerdem zum Teil nicht hoch verschuldet, sondern sitzen im Gegenteil auf sehr hohen Cash-Beständen.

Hinzu kommt das ganz andere monetäre Umfeld mit überbordender Liquidität und Nullzinsen. Anleger haben bei teilweise negativen Anleiheverzinsungen keine andere Wahl, als in Aktien anzulegen. Und das Umfeld drückt das Geld gerade in die erfolgreichen Tech-Firmen, deren Gewinnwachstum in diesem Jahr einen Zusatzschub erlebt, von dem die meisten anderen Branchen, denen die Gewinne wegbrechen, nicht einmal zu träumen wagen. Die aktuelle Tech-Hausse ist, anders als die Dotcom-Blase, fundamental gut untermauert. Seit dem Jahr 2004, hat das Research der Landesbank Baden-Württemberg errechnet, sind die gleitenden Zwölf-Monats-Gewinne der Unternehmen des Nasdaq 100 um 547% gestiegen, während der Anstieg beim S&P 500 bei 75% liegt. Nicht nur die Kurse, auch die Gewinne der Branche heben ab. In diesem Umfeld, an dem die jüngste Schwäche des Nasdaq Composite nichts verändert hat, wäre die Prognose eines Tech-Crashs in absehbarer Zeit doch recht gewagt.

Auch dürfte es nicht sofort zu massiven Umschichtungen in Zykliker beziehungsweise Value-Aktien kommen. Denn es ist noch unabsehbar, wann die ökonomische Normalisierung einsetzen wird und in welchem Ausmaß sich die Wirtschaft erholen wird bzw. wann sie das Niveau von vor dem Corona-Lockdown wieder erreicht. Aber: Die Korrektur zeigt, dass auch FAANG, Tesla und Co. nicht ohne Ende im 90-Grad-Winkel steigen können. Wahrscheinlich werden sie nun eine langsamere Gangart an den Tag legen.

Und das ist auch gut so. Gefährlich würde die Entwicklung, wenn sich die Technologiebranche noch weiter von der realwirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln sollte und die Anleger extrem euphorisch würden. Zumal sich das Umfeld zugunsten der vernachlässigten Segmente, der Zykliker beziehungsweise Value-Aktien verändern wird. Sobald die Normalisierung erkennbar näher rückt, werden diese Segmente die Nase vorn haben. Zudem werden die Effekte der Pandemie, die wie etwa das Homeoffice, die zunehmende Nutzung von Streaming-Diensten und das sehr hohe Wachstum des Online-Shopping die Technologiebranche derzeit so stark begünstigen, zwar nicht verschwinden, aber doch spürbar an Fahrt verlieren, so dass auch das Gewinnwachstum wieder Dynamik einbüßen wird.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Christopher Kalbhenn

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