Südwest Presse Ulm, Leitartikel zu SPD
Archivmeldung vom 02.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJetzt wissen wir, wer schlimmer als die 68er in der SPD ist: ihre unerzogenen Kinder. So hat sich die Landesvorsitzende Ute Vogt vorgestern ein Armutszeugnis ausgestellt, als sie - und man glaubt es ihr sogar! - sagte, sie habe nicht damit gerechnet, welche Konsequenzen der Parteivorsitzende Franz Müntefering zu ziehen hat, wenn der Parteivorstand ihn in einer wichtigen Personalie überstimmt.
Immerhin nahm Willy Brandt einst seinen Hut, weil es ihm nicht
gelang, seine Kandidatin als Parteisprecherin durchzusetzen.
Entsetzen also über die absehbaren Konsequenzen des eigenen Handelns:
Man kann sich nicht erinnern, je eine solche Verantwortungslosigkeit
der Führung einer Volkspartei erlebt zu haben. Wenn Andrea Nahles
alles daransetzt, auf dem Parteitag verprügelt zu werden, mag man
sich das so verwundert anschauen wie Schlammcatchen. Wenn erwachsene
Vorstände einen Kindergartenaufstand gegen ihren Vorsitzenden
anzetteln, könnte man das gute Unterhaltung nennen. Doch aber bitte
nicht mitten in Koalitionsverhandlungen, die schwierig genug sind,
weil zwei Wahlverlierer-Parteien zueinander finden müssen.
Der Staatshaushalt ist in einer schweren Krise. Millionen von
Arbeitslosen hoffen auf einen Aufbruch, und die Hauptverantwortlichen
für den deutschen Zustand feiern so polternd Halloween, dass das Volk
Anlass hat zu erschrecken. Denn die Frage steht im Raum: Steckt
Deutschland in einer Staatskrise?
Um das zu beantworten, bedarf es der Motivsuche. War es ein Aufstand
gegen den als zu autoritär empfundenen Vorsitzenden, dem man gegen
das Schienbein, aber ihn nicht aus dem Amt treten wollte? Oder war es
der entscheidende Schritt nach links, weg aus der neuen Mitte einer
großen Koalition, um den Traum einer Volksfront zu verwirklichen?
Immerhin sollten SPD-Wähler darüber nachdenken, ob sie im September
diesen Weg oder Gerhard Schröder und Müntefering für eine weiche,
aber fortzuführende soziale Schlankheitskur gewählt haben. So steht
die Partei in den Koalitionsverhandlungen beängstigend kopflos da:
Der eine Verhandlungsführer - Schröder - wird nicht mehr, was allein
er bleiben will, und der andere - Müntefering - weiß nicht, ob er
noch werden kann, was er für notwendig erachtet hat: Vizekanzler und
Minister.
Kann auf diese Weise überhaupt ein auf Jahre belastbarer
Koalitionsvertrag verhandelt werden, wenn die SPD beides will: die
meisten Minister und die Führungsrolle in der Opposition, also den
Betriebsrat geben? Ist die Kanzlerkandidatin der Koalition, Angela
Merkel, ohne eigenes Verschulden, verlassen von den anderen
Vorsitzenden allein in Berlin?
Oder war das Votum des SPD- Vorstands gegen Münteferings
Personalvorschlag für den Posten des Generalsekretärs lediglich ein
Aufschrei gegen seine Autorität, die seit geraumer Zeit krass
hervortrat, weil autoritäre Menschen unter Druck diese Eigenschaft
oft herauskehren? In diesem Fall kann die Angelegenheit noch einen
guten Ausgang in Richtung einer großen, handlungsfähigen Koalition
nehmen und der Montag Episode bleiben. Ein SPD-Personalpaket könnte
geschnürt werden, das es Müntefering erlaubt, trotz allem mit
Rückendeckung der Partei Vizekanzler und Arbeitsminister zu werden.
Alles andere hingegen, Rot-Rot-Grün oder Neuwahlen, würde
Verwerfungen erzeugen, in denen die Zukunft der Republik zu versinken
drohte.
quelle:Pressemitteilung Südwest Presse