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Börsen-Zeitung: Das Eis wird immer dünner

Archivmeldung vom 09.03.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.03.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Die jüngsten Beschlüsse und Verlautbarungen der EZB bedeuten für die Finanzmärkte einen tiefen Einschnitt. Die Verschiebung der ersten Leitzinsanhebung auf 2020, die neuen Langfristkredite für Banken und nicht zuletzt die deutliche Senkung der Wachstumserwartungen haben die letzten Unklarheiten über die Aussichten beseitigt.

Das extrem niedrige Zinsniveau des Euroraums wird noch sehr lange Bestand haben, und zwar länger, als es die Währungshüter signalisieren. Auch 2020, äußerte sich die Commerzbank am Freitag überzeugt, wird die Notenbank den Einlagensatz unangetastet auf seinem rekordtiefen Niveau belassen, und am Markt wird eine erste Anhebung erst für September 2020 eingepreist.

Auch wenn ein Teil der Nachrichten aus dem Frankfurter Ostend an den Märkten bereits antizipiert worden war, spiegelt ihre Reaktion den Einschnitt deutlich wider. Die laufende Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen sank zum Wochenschluss bis auf ein Zweieinhalbjahrestief von 0,05 Prozent und peilt damit wieder den negativen Bereich an, in dem sich die Laufzeiten bis neun Jahre längst befinden. Das einstige Euro-Sorgenkind Portugal erfreut sich sogar der günstigsten Finanzierungskosten seiner Geschichte. Bis auf ein Rekordtief von 1,34 Prozent sank die Rendite der zehnjährigen portugiesischen Staatsanleihe nach der Ratssitzung der EZB, und der Negativzinsbereich des Landes reicht nun bis zur dreijährigen Laufzeit.

Doch was den Treasurer Portugals und die Halter von Euroland-Staatsanleihen zunächst freuen mag, ist in Wirklichkeit alles andere als schön, und mit nachgebenden Aktienkursen wurde auch das an den Märkten reflektiert. Die Konjunktur des Euroraums kühlt sich empfindlich ab, das Wachstum sinkt weit stärker, als dies noch vor wenigen Wochen erwartet worden war. Und am Freitag folgten die nächsten Hiobsbotschaften: Der Auftragseingang der deutschen Industrie brach im Januar im Vergleich zum Vormonat um 2,6 Prozent ein, und im Maschinenbau fielen die Bestellungen im Vorjahresvergleich um 9 Prozent.

Doch der Euroraum ist nicht allein. Aus allen drei Zeitzonen gehen zurzeit reihenweise Nachrichten ein, die eine Abkühlung anzeigen. Die US-Notenbank stellte in ihrem jüngsten Konjunkturbericht fest, dass sich die Wachstumsdynamik im Februar und Anfang März abgeschwächt hat, wozu allerdings der Government Shutdown beitrug. In China senkte die Führung ihre Wachstumsprognose für 2019 auf 6,0 bis 6,5 Prozent. Zum Wochenschluss wurden für den Februar ein Einbruch der Exporte des Landes im Vorjahresvergleich um rund 20 Prozent und des Automobilabsatzes um 18,5 Prozent bekannt gegeben. Australien schockte zuletzt mit einem in den letzten drei Monaten 2018 im Vergleich zum dritten Quartal abgesackten Wachstum von 0,2 Prozent. Das war das niedrigste Quartalswachstum seit zwei Jahren. Das annualisierte Wachstum des Kontinents im zweiten Halbjahr lag bei 0,9 Prozent und damit auf dem niedrigsten Niveau seit der Finanzkrise.

Damit droht sich das Szenario für den Aktienmarkt zu zerschlagen, mit dem Strategen in das Jahr 2019 gestartet waren: Ein leicht nachlassendes, aber immer noch zufriedenstellendes globales Wachstum, das Spielraum für ansprechende Steigerungen der Unternehmensgewinne lässt. Stattdessen nimmt nun das Rezessionsrisiko tendenziell zu. Italien befindet sich bereits in der Rezession, Deutschland ist sie im zweiten Halbjahr 2018 nur knapp erspart geblieben. Das Eis wird immer dünner.

Doch noch ist längst nicht entschieden, dass die Weltwirtschaft schon recht zeitnah in die Rezession abrutschen wird. So unternimmt China mit fiskalischen und geldpolitischen Maßnahmen enorme Anstrengungen, um das eigene Wachstum in Schwung zu halten. Zudem hat die US-Notenbank mit ihrem geldpolitischen Schwenk Unternehmen und den Finanzmärkten die Sorge genommen, dass sie mit ihren Bremsmanövern überziehen und damit die Konjunktur abwürgen könnte.

Darüber hinaus geht China im Handelsdisput auf die Vereinigten Staaten zu, um eine Eskalation des Streits zu verhindern. Dieser sorgt seit langem für erhebliche Verunsicherung und ist einer der stärksten Hemmfaktoren der Weltwirtschaft. Wird der Konflikt gelöst, würde das viele Blockaden lösen und etwa bislang zurückgehaltene Investitionen anschieben. Das Gleiche gilt für das Brexit-Drama, dessen Ausgang derzeit noch völlig ungewiss ist. Damit besteht durchaus noch die Chance, dass sich das globale Wachstum stabilisiert und den Anlegern der zweite schlechte Aktienjahrgang in Folge erspart bleibt.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Christopher Kalbhenn

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