Berliner Morgenpost: Das Ende der Langeweile
Archivmeldung vom 31.08.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Symbolsprache ist eindeutig: Gibt es Erfolge zu vermelden, tritt die Chefin persönlich auf die Bühne. Niederlagen dagegen muss Pofalla verkaufen. Gestern Abend hatte der CDU-General eine ganze Menge zu tun: Zwei absolute Mehrheiten sind der Kanzlerinnenpartei abhanden gekommen, mindestens ein Ministerpräsident, dazu wichtige Rathäuser in NRW.
Vier Wochen vor der geplanten Wiederwahl hat die siegesgewisse Union einen Dämpfer bekommen. War dieser kleine Superwahlsonntag, bei dem immerhin ein Drittel der deutschen Wahlberechtigten zur Urne gerufen war, aber nun ein eindeutiges Zeichen für die Bundestagswahl in vier Wochen? Nein, ebenso wenig wie die Europawahl vor der Sommerpause. Die Republik erlebte allenfalls Momentaufnahmen, aber keine verlässlichen Hinweise darauf, wer künftig das Land regiert. Fakt ist: Der deutsche Wähler ist unberechenbarer denn je, vieles ist denkbar: Von Rot-Rot-Grün bis Jamaika im Saarland, von der großen bis zur schwarz-gelben Koalition in Sachsen, sogar ein linker Ministerpräsident in Thüringen. Mit diesem Sonntag ist die Bundesrepublik wieder eine buntere Republik geworden. Denn von der Schwäche der SPD hat die CDU nicht profitiert, aber die drei Kleinen allesamt von den bröckelnden Großen. Sicher ist: Die Bürger wollen keine absoluten Mehrheiten, sondern Koalitionen. Was sich im politischen Labor Hessen vor eineinhalb Jahren andeutete, hat nun auch andere Teile der Republik ergriffen, in Ost wie West: Das Fünf-Parteien-System ist eine Realität, die neue Zwänge, aber auch neue Möglichkeiten bietet, auch wenn sie derzeit noch nicht verwirklicht werden. FDP und Grüne entwickeln sich mehr denn je zu den Königsmachern. Die Botschaft für Berlin ist eindeutig. Auch wenn die SPD eine historische Schwächephase erlebt, hat die Union noch nicht gewonnen. Jeder, der schon Ministerposten verteilte, sieht sich getäuscht. Die Kanzlerin mag sich an die traumatischen Abende der Bundestagswahlen 2002 und 2005 erinnern, als die Regierung mit der FDP jeweils schon ausgemacht war, und dann doch alles anders kam. SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier steht dagegen erneut vor der unlösbaren Aufgabe, einer rot-rot-grünen Koalition eine überzeugende Absage zu erteilen. Alle wissen: Eines Tages ist es soweit, die Frage ist nur wann. Paradoxerweise bietet derzeit Oskar Lafontaine den besten Schutz vor einem linken Dreier-Bund. Solange der sinistre Saarländer bei der Linkspartei wirkt, hat die SPD einen wirklich guten Grund, eine Koalition im Bund zu unterlassen. Gut möglich übrigens, dass an der Saar und in Thüringen bei der Regierungsbildung auf Zeit gespielt und ein Bündnis erst nach dem 27. September beschlossen wird, um Steinmeier die entsprechende Debatte zu ersparen. Die nächsten vier Wochen jedenfalls dürften spannend werden. Entschieden ist nichts. Jede Stimme zählt. Die Zeit des Langeweile-Wahlkampfs ist vorbei.
Quelle: Berliner Morgenpost