In den Badeorten Ägyptens herrscht „halbtote Saison“
Archivmeldung vom 10.08.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittLiegestühle warten am Schwimmbeckenrand, sorgfältig aufgereiht stehen die Flaschen in den Regalen an der Wand hinter dem Bartresen, am schwarzen Brett im Foyer hängen ganz frische Werbezettel. So beginnt der Bericht von Wadim Fersowitsch bei Radio "Stimme Russlands" über die aktuelle Saison in den den Badeorten Ägyptens.
Weiter heißt es: "Im größten Restaurant liegen saubere dunkelblaue Decken auf den Tischen, und die Geländer der großen Veranda mit Blick aufs Meer tragen bunte Bänder und ein Banner mit der Aufschrift “Happy Birthday!”. Manchmal will es scheinen, als würde irgendwo ganz in der Nähe leise und angenehme Musik spielen. An den Abenden werden in den Alleen des kleinen Parks die Laternen entzündet, die ihr weiches Licht auf die Bühne des Amphitheaters und das schwarz-weiß gewürfelte Feld mit den gigantischen Schachfiguren werfen.
Aber kommt man näher und guckt sich das alles etwas aufmerksamer an, wird die exotische Pastorale plötzlich zur Dekoration für einen finsteren surrealistischen Film. Das Hotel ist völlig leer. Zwei, drei Leute täuschen Leben vor. Sie sind es auch, die regelmäßig die Kamele von den grünen Hecken wegjagen. Wie Liebhaber von weiten Strandspaziergängen erzählen, bedient sich das Personal von fast allen Hotels auf dem Weg von Dahab zum bei Tauchern so beliebten „Blue Hole“ dieses Tricks. Vorbeifahrende Touristen sollen sehen, dass die Dinge überall gut laufen. Aber die lassen sich nur schwer hinters Licht führen. In Dahab selbst sind die Restaurants und Bars genauso leer, die Läden sind aus Kundenmangel geschlossen, und die Taxifahrer sind bereit, einen zu Spottpreisen bis ans Ende der Welt zu fahren. Hatte doch Emad Aziz, der Chef der Savoy Group, schon im März 2011, zu Beginn des „Arabischen Frühlings“, vom Sinai gesagt: „Wir befassen uns hier alle mit Tourismus. Der Tourismus ist unser Brot. Wenn es keinen Tourismus mehr gibt, gibt es auch kein Leben mehr.“
Seither ist es nicht besser geworden. Nach Ansicht von Jena Tesse Fox, einer Redakteurin der Zeitschrift „Travel Agent”, schränken die Ereignisse vom Sommer 2013 ganz im Gegensatz zum “Arabischen Frühling” von 2011 den Touristenstrom nach Ägypten nicht weiter ein, weil er auch so schon an seinem Tiefpunkt angekommen ist. Dabei machen nicht nur die europäischen Reisebüros Verluste. Nach den Worten von Dave Herbert, dem Chef des Reiseveranstalters „Great Safaris”, war Ägypten schon immer das einzige Land in Afrika, wo massenhaft US-Bürger Urlaub machten. Nach Ägypten seien immer mehr Amerikaner gefahren als in andere Länder Afrikas. So hielten sich hier 2010 etwa 250.000 Amerikaner auf – mehr als in Kenia, Südafrika und Tansania zusammen. Ende Juni brachte der „New Yorker” eine Statistik: 2010, ein Jahr vor der Revolution, haben 14 Millionen ausländische Touristen Ägypten besucht; sie gaben hier etwa 13 Milliarden Dollar aus. Doch bereits im ersten Quartal 2011, als Präsident Hosni Mubarak gestürzt worden war, ging das Volumen des internationalen Tourismus um 45 Prozent zurück.
2010 machte der Fremdenverkehr in Ägypten elf Prozent des BIP aus. Das sind sehr wichtige Prozente. Ägypten braucht unbedingt ausländisches Geld, denn das Land gehört zu den größten Importeuren von Weizen und bedeutender Brennstoffmengen zur Energiegewinnung.
Der Tourismus stabilisiert außerdem das soziale Leben. Er gibt den vielen jungen Menschen Arbeit. Der Personalabbau in dieser Industriesparte wirkt sich ohne Zweifel auf die Stimmung der Bevölkerung im ganzen Land aus.
Die Hauptverluste in der Tourismusbranche hat aktuell der Norden zu verzeichnen, besonders Kairo und Luxor. Der Reiseveranstalter Thomson hat im Juli die Anlaufhäfen für seine Mittelmeer-Kreuzfahrten von Alexandria und Port Said nach Kreta und Haifa in Israel verlegt. Auch am Nil liegen viele Kreuzfahrtschiffe auf Reede. Ein englischsprachiger Reiseführer in Luxor erklärte in einem Interview für „Christian Science Monitor”: “Vor der Revolution haben wir fünf Mal in der Woche gearbeitet… jetzt sind wir froh, wenn wir ein Mal in mehreren Monaten ein Angebot bekommen.“
Mehr Arbeit wird es auch nicht geben, wenn die potentiellen Touristen nachlesen, dass sich in vielen Dörfern die muslimischen und christlichen Gemeinden nach Auseinandersetzungen endgültig zerstritten haben. Oder wenn sie erfahren, dass die Zahl der Entführungen mit Erpressung von Lösegeld stark angestiegen ist. Oder wenn ihnen zu Ohren kommt, dass die Stämme im Süden bereits ganz offen Handgranatenwerfer und schwere Maschinengewehre aus den Nachbarländern Sudan und Libyen in die Höhe recken.
Diesen Sommer haben die Bürger vieler europäischer Länder in den Hotels an der Küste des Golfs von Akaba die ungewöhnliche Stille und den weiten Raum genossen. Holländer und Briten, Polen und Italiener, Russen und Ukrainer, Skandinavier und Araber hatten keine Angst, hierher zu kommen. Gut, dass das keine vollständige Aufzählung ist."
Quelle: Text Wadim Fersowitsch - „Stimme Russlands"