Museumsöffnung und Wiedereröffnung der Ausstellung "Writing the History of the Future"
Archivmeldung vom 29.05.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.05.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićMit Museumsöffnung am 28. Mai 2021 ist zum ersten Mal seit August 2020 auch die Ausstellung Writing the History of the Future. Die Sammlung des ZKM wieder zu erleben. Neben den historischen Meisterwerken der einzigartigen Medienkunstsammlung werden in der Ausstellung nun auch Werke der derzeit vieldiskutierten "Crypto Art" präsentiert.
Die Ausstellung bietet damit einen aktuellen Überblick über die Geschichte der digitalen Kunst von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart. Die luftige Architektur und weiten Räume des ehemaligen Industriegebäudes bieten optimale Voraussetzungen für einen Ausstellungsbesuch unter Corona-Bedingungen.
Interaktive Installationen sowie Werke der Video- und Klangkunst stellen für Ausstellungshäuser wie das ZKM jedoch eine besondere Herausforderung dar, da die Werke normalerweise mit den Händen berührt oder in Boxen präsentiert werden. Das ZKM hat in den vergangenen Monaten daher eine Reihe technischer Lösungen entwickelt, um auch diese Werke unter Wahrung der Hygieneregeln wieder zugänglich zu machen. Dafür wurden Videoinstallationen mit speziellen Luftfiltern und Ampelsystemen ausgestattet und auch auf Kopfhörer kann nun zur Gänze verzichtet werden, da das ZKM diese durch ein selbst entwickeltes berührungsloses Soundsystem mit Bewegungsmeldern ersetzt hat. Der Ton wird hörbar, sobald die Besucher:innen vor dem Werk stehen. In allen Ausstellungsräumen stehen darüber hinaus zahlreiche Spender mit Desinfektionsmittel zur Verfügung.
Crypto Art
Seit 2014 ist es möglich, digitale Bilder mit Hilfe der Blockchain-Technologie zu zertifizieren und auf diese Weise Unikate herzustellen, so genannte NFTs (Non-Fungible Tokens). Bereits 2018, lange vor den spektakulären, millionenschweren Verkäufen dieser zertifizierten Bilder, hatte das ZKM erste NFTs erworben. Damit zählt das ZKM neben dem Museum für angewandte Kunst in Wien zu den ersten zwei Museen weltweit, die ihre Sammlung für dieses neue Format geöffnet haben, das die Ökonomie der Kunst nachhaltig verändern wird. Seit Anfang April sind ausgewählte Beispiele der Sammlung und Leihgaben in den Räumen von Writing the History of the Future sowie auf dem Screen des ZKM-Kubus zu sehen. Das besondere Interesse des ZKM gilt dabei den "on chain"-NFTs: Hier wird in der Blockchain nicht nur das Zertifikat abgespeichert, das auf die Besitzverhältnisse verweist. Bei dieser Art der NFTs ist das Werk selbst in der Blockchain hinterlegt, genauer gesagt, der Code, der das Werk generiert. Die Ausstellung zeigt daher Schlüsselwerke der generativen "on-chain"-Kunst, unter anderem die ersten "on chain"-Werke: die Autoglyphs (2019) von John Watkinson und Matt Hall, den Schöpfern der berühmten CryptoPunks. Die Präsentation der aktuellen Crypto Art neben den Werken der Pioniere der digitalen Kunst der 1960er-Jahre ist kein Zufall. Die junge Künstler:innen-Generation sieht sich in der Tradition der frühen generativen Kunst.
Schlüsselwerke der kybernetischen Kunst
Die durch die Pandemie bedingte, temporäre Schließung der Ausstellung wurde außerdem genutzt, um ein weiteres historisches Schlüsselwerk der Medienkunst zu installieren. Die Installation Dynamic Object GF.E 16.4 CNSM von Vladimir Bonacic (1938-1999), die zwischen 1969 und 1971 entwickelt wurde, zählt zu den frühesten Beispielen der Verwendung von Computertechnik in den Künsten. Das Werk visualisiert bzw. akustifiziert Galois-Feld-Strukturen in Form von Licht- und Klangmustern von faszinierender Schönheit. Galois-Felder sind ein Teil der abstrakten Algebra und sonst nur in komplexen mathematischen Formeln erfassbar. Sie sind unter anderem in der Kryptographie von großer Bedeutung. Da in den 1960er-Jahren tragbare und bezahlbare Universalcomputer ebenso wenig verfügbar waren wie farbige Monitore, konstruierte der Kybernetiker Vladimir Bonacic spezielle Hardware, um seine Vision einer kybernetischen Kunst realisieren zu können. Anlass für die künstlerischen Experimente, die auf der wissenschaftlichen Forschung von Bonacic basierten, war das Computerkunstfestivel Tendencies 4. Computers and Visual Research, das 1968 - zeitgleich mit der Londonder Ausstellung Cybernetic Serendipity - in Zagreb begann.
ANNEX
Allgemeine Information zu Writing the History of the Future. Die Sammlung des ZKM
In einer außergewöhnlichen Zusammenstellung präsentiert das ZKM die Hauptwerke seiner weltweit einzigartigen Medienkunstsammlung. Die von Margit Rosen und Peter Weibel kuratierte Ausstellung zeigt erstmals die Vielfalt der Künste im medialen Wandel und erzählt die Geschichte der Kunst im 20. und 21. Jahrhundert neu. Sie umfasst Fotografie, Grafik, Malerei und Skulptur ebenso wie computerbasierte Werke und interaktive Installationen, Film, Holografie, Kinetische Kunst, Op-Art, Sound Art, visuelle Poesie und Videokunst.
Das 20. Jahrhundert erlebte eine radikale Transformation des Bildes durch die apparativen Medien. Beginnend mit dem Skandal der Fotografie, der darin bestand, dass Bilder sich quasi selbst herstellen, haben die Medien den "Gesamtcharakter der Kunst verändert" (Walter Benjamin). Fotografie, Film, Fernsehen, Video, Computer und Internet haben das Verhältnis von Künstler:in, Werk und Betrachter:in sowie unsere Vorstellung des Schöpferischen neu bestimmt. Die Ausstellung Writing the History of the Future macht beispielhaft den Wandel der Kunst angesichts der sich verändernden apparativen Produktions-, Rezeptions- und Distributionstechnologien deutlich. Sie zeigt auch, wie Künstler:innen mediale und soziale Praktiken vorwegnehmen, die erst Jahre später für die gesamte Gesellschaft selbstverständlich werden. Sie schreiben, wie der Titel der Ausstellung sagt, die Geschichte der Zukunft.
Durch die alle Gattungen und Medien übergreifende Perspektive eröffnet die Ausstellung auf über 6.000 qm einen neuen Blick auf die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Diese Epoche rasanten technologischen Wandels durch elektronische und digitale Informations- und Kommunikationstechnologien leitete eine nie gekannte Demokratisierung von Kunst und Kultur ein. Writing the History of the Future macht nachvollziehbar, wie das Versprechen der Fotografie, die Abbildung der Welt zu individualisieren, in den 1960er-Jahren von den Aktivist:innen der Videokunst nochmals eingelöst wurde. Mit der plötzlich verfügbaren Videotechnik bildeten sie Welten ab, die weder im Fernsehen noch von der Filmindustrie gezeigt wurden und entwickelten eine Ästhetik, die noch heute unsere visuelle Kultur beeinflusst. Die Erweiterung der technischen Trägermedien des Bildes, vom Tafelbild zum Bildschirm, hat die Kunst in einer neuen visuellen Kultur aufgelöst, Massenkultur und Hochkultur verschränkt. Mit der Verbreitung der Computertechnik in den 1950er-Jahren wandelte sich unsere Vorstellung des Schöpferischen, begann die Automatisierung und Algorithmisierung der Künste. Der zeichenverarbeitende Apparat provozierte Diskussionen wie sie heute im Hinblick auf die Künstliche Intelligenz aufs Neue geführt werden. Elektronische Medien veränderten auch die Wahrnehmung und die Erzeugung des Klangs im 20. Jahrhundert. Bisher illegitime Klänge und Geräusche wurden zu einem Medium der bildenden Kunst, zur Sound Art.
Die Ausstellung Writing the History of the Future macht deutlich, wie grundlegend Apparate das Verhältnis zum Kunstwerk verändert haben -sowohl im Hinblick auf die Produktion als auch auf die Rezeption. Die Erzeugung von Kunst konzentriert sich nicht mehr allein auf das Subjekt des Künstlers bzw. der Künstlerin, sondern inkludiert diverse Aktanten, seien es Apparate oder Menschen. Durch die Entwicklung der partizipativen, interaktiven und performativen Künste, von bewegten Bildern zu den bewegten Betrachter:innen, entstehen seit den 1960er-Jahren offene Werke, welche die Besucher:innen einer Ausstellung nicht allein zum Betrachten, sondern zum Handeln auffordern.
Die Sammlungspräsentation, für die aus 9.500 Werken ausgewählt wurde, zeichnet sich durch ihre gattungsüberschreitende Inszenierung aus. Sie zeigt den Wandel der Gattung Porträt, der Darstellung des Körpers, des Landschaftsbildes und der Architektur vom Gemälde zur interaktiven Computerinstallation. Sie zeigt die Aktualisierung des Urmediums Schrift sowie der Kunst als Format des kollektiven und individuellen Gedächtnisses unter den Bedingungen der Informationstechnologie. Die Ausstellung präsentiert somit eine Kunst radikaler Zeitgenossenschaft, d.h. eine Kunst, in der Künstler:innen die Gegenwart mit den technischen Medien ihrer Zeit reflektieren. Sie bietet eine einmalige Gelegenheit, mit zum Teil raumgreifenden Installationen und zahlreichen Inkunablen der Medienkunst, einen umfassenden Überblick über die eigentliche Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert jenseits von Malerei und Skulptur zu gewinnen.
Derzeit sind insgesamt über 500 Werke der Sammlung ausgestellt. Im Herbst 2021 wird sich die Ausstellung auf das 1. Obergeschoss in Lichthof 8+9 reduzieren, um temporären Ausstellungen im Erdgeschoss Raum zu geben.
Quelle: ZKM Karlsruhe (ots)