foodwatch kritisiert Desinformationskampagne der TTIP-Befürworter
Archivmeldung vom 09.03.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Verbraucherorganisation foodwatch hat den TTIP-Befürwortern eine Fehl- und Desinformationskampagne vorgeworfen. Von der Bundeskanzlerin bis zur Europäischen Kommission, von den Wirtschaftsweisen bis zum BDI, von der US-Botschaft bis zur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft werde falsch oder irreführend über das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA informiert. Das kritisiert foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode in seinem neuen Buch "Die Freihandelslüge: Warum TTIP nur den Konzernen nützt - und uns allen schadet" (DVA), das er heute in Berlin der Öffentlichkeit vorstellte und das vom heutigen Montag an im Handel erhältlich ist.
"Eine so breit angelegte Desinformationskampagne wie bei TTIP habe ich noch nie erlebt. Das Muster ist stets dasselbe: Die Chancen des Abkommens werden aufgebauscht, die Risiken geleugnet oder verschwiegen", kritisierte Thilo Bode.
In seinem Buch erklärt der foodwatch-Gründer verständlich, um was es bei TTIP wirklich geht, warum das Abkommen demokratische Prozesse aushöhlt und wie sehr es die Verbraucher ganz konkret betrifft. Er klärt über die sensiblen Punkte auf, über die die Befürworter nicht offen sprechen: Kommt TTIP, würde es als völkerrechtlicher Vertrag über einzelnen Gesetzen stehen. Wenn EU und USA mit TTIP gesetzliche Standards gegenseitig anerkennen, könnten diese nicht mehr einseitig geändert werden. So hätte die wechselseitige Anerkennung etwa von Tierhaltungsbedingungen oder von Vorgaben für die Lebensmittelkennzeichnung zur Folge, dass die EU nicht mehr einfach ohne Zustimmung des Handelspartners USA bessere Standards in der Tierhaltung und mehr Transparenz über Produkteigenschaften beschließen könnte. Das Buch "Die Freihandelslüge" zeigt, wie TTIP damit vor allem zu einem Programm zu werden droht, mit dem sich Konzerne in Zukunft unliebsamer Regulierungsvorhaben entledigen können.
"Ich bin ein großer Verfechter des fairen Freihandels - genau deshalb bin ich gegen TTIP", stellte Bode klar. "Bei diesem Abkommen geht es nicht um Freihandel, sondern um Freibeuterei. Das Recht der Konzerne auf ungestörtes Beutemachen würde ins Völkerrecht geschrieben, und die Gesetzgeber würden sich in Teilen selbst abschaffen: Regulierungsvorhaben könnten nur noch dann durchgesetzt werden, wenn der Handelspartner USA zustimmt. TTIP muss gestoppt werden."
Bei Verhandlungen über einen so weitreichenden, völkerrechtlichen Vertrag sei es wichtig, eine offene und aufrichtige, öffentliche Debatte zu führen. Genau diese finde aber nicht statt, kritisierte Bode. In einem ausführlichen Hintergrunddokument (www.ttip-desinformation.foodwatch.de) hat foodwatch anhand von dutzenden Zitaten belegt, wie falsch und irreführend über TTIP informiert wird. Nur einige der Beispiele:
- Der Einfluss von TTIP auf die Gesetzgebung wird geleugnet: "Der Spielraum für künftige Regulierungsvorhaben muss natürlich erhalten bleiben", sagt zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel - dabei stellt ihr eigenes Kanzleramt wahrheitsgemäß klar, "dass der Regelungsspielraum der EU und der EU-Mitgliedstaaten durch konkrete Vereinbarungen über eine enge transatlantische Regulierungszusammenarbeit, etwa im Rahmen einer gegenseitigen Anerkennung von Standards, in Teilen eingeschränkt werden kann".
- Hypothetische wirtschaftliche Potenziale werden zu Fakten erhöht: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hat in diesem Februar eine Broschüre mit "12 Fakten" zu TTIP herausgegeben - mindestens 5 davon müssen jedoch korrigiert werden. Als "Fakten" präsentiert die Arbeitgeber-Lobby zum Beispiel "Hunderttausende neue Arbeitsplätze" und "119 Milliarden Euro Gewinne durch TTIP" - tatsächlich handelt es sich dabei nicht um Fakten, sondern um Schätzungen auf Basis völlig spekulativer Annahmen über die Ausgestaltung von TTIP. Dass dieselben Studien bei anderen Annahmen zu viel niedrigeren Prognosen kommen, verschweigt die INSM.
- Wirtschaftliche Prognosen werden größer dargestellt: "Die Schätzungen über zusätzliche Arbeitsplätze in der EU reichen von 400.000 bis 1,3 Millionen", schreibt die CDU. Die Schätzungen selbst in den Studien, aus denen die von der CDU zitierten Zahlen stammen, beginnen tatsächlich bei nur rund 12.000 Jobs.
- Aus langfristig eintretenden Niveaueffekten wird jährliches Wachstum gemacht: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verspricht "rund 100 Mrd. Euro Wirtschaftswachstum pro Jahr" in der EU - tatsächlich gehen Studien lediglich davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt der EU langfristig (im Jahr 2027) um diesen Betrag höher liegen könnte als ohne BIP - ein jährliches Zusatzwachstum wird gerade nicht vorhergesagt und erst recht nicht in dieser Größenordnung.
- Einschränkungen werden unter den Tisch fallen gelassen: Selbst die "Wirtschaftsweisen" im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung behaupten in ihrem Jahresgutachten 2014/2015, ein umfassendes TTIP "führt" zu "weltweiten Beschäftigungszuwächsen: In Deutschland lägen sie bei 110.000 Personen." Die Ökonomen erwähnen nicht, dass diese Zahl in der Original-Studie als Obergrenze ("bis zu") und nur errechnet wurde für ein "sehr optimistisches Szenario, welches erhebliche Unsicherheiten involviert".
- Verlierer werden nicht erwähnt oder zu Gewinnern gemacht: Ein Vertreter der Europäischen Kommission bezeichnet TTIP als "große Goldgrube" für Entwicklungsländer. Tatsächlich legt die Studienlage nahe, dass gerade Entwicklungsländer mit wirtschaftlichen Verlusten zu rechnen hätten.
Thilo Bode: Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt - und uns allen schadet. DVA 2015, 272 Seiten, 14,99 Euro. Seit heute (9. März) im Buchhandel. Das Honorar von Thilo Bode fließt ausschließlich direkt in die Arbeit von foodwatch.
Quelle: foodwatch e.V. (ots)