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Studenten verkaufen sich als Kapitalanlage

Archivmeldung vom 05.12.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.12.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Der 30-jährige Student Florian L. studiert in Friedrichshafen Betriebswirtschaft und hat das Problem, das fast alle Studenten haben: Er braucht Geld. Deshalb überlegte sich der junge Mann, sich selber als Kapitalanlage zu verkaufen.

Florian Lucke ist der "Pilotstudent". So nennen sie ihn beim schweizerischen Verein Studienaktie.org. Denn der 30-jährige angehende Betriebswirtschaftler testet, ob die Idee des St. Galler Vereins auch in Deutschland funktioniert: sein Zukunftspotential zu verkaufen. Luckes Karriere von morgen soll sein Studium heute finanzieren, zumindest zum Teil, indem er Anteile seines späteren - geschätzten - Gehalts an private Investoren verkauft.Studienaktie.org hilft dem Deutschen dabei, Geldgeber zu finden. Vier sind es schon, 8500 Euro haben sie ihm bisher geliehen - in der Hoffnung, dass die Investition in den Studenten von der Zeppelin University in Friedrichshafen sich lohnt.

Das Ganze geht so: Die Parteien unterschreiben einen Darlehensvertrag. Darin ist festgelegt, zu welchem Zeitpunkt die Rückzahlungen fällig werden. Wenn sich Luckes Karriere nach Plan entwickelt, erhalten die Investoren einmalig einen prozentualen Anteil des Jahresgehalts, das er zu diesem Zeitpunkt verdient. Vertraglich ist zudem festgelegt, dass die Investoren mindestens ihr Startkapital wiederbekommen sollen. Je glänzender Luckes Karriere, desto höher der Gewinn.

"Viele der Investoren sind Idealisten"

"Deshalb werden sich die Geldgeber anstrengen, ihn mit gutem Rat und Kontakten zu unterstützen", sagt Lars Stein, 29, der Studienaktie.org vor zwei Jahren gegründet hat. "Der Nutzen unseres Systems reicht also weit über die reine Finanzierung hinaus", so der BWL-Doktorand. Er sitzt in einem Café in Winterthur, in Jeans und hellblau kariertem Hemd. Eine Mappe mit Unterlagen liegt neben ihm. Er kommt direkt von einem Kunden-Meeting am Bodensee, Stein arbeitet neben seiner Doktorarbeit an der St. Galler Uni als freier Unternehmensberater.

Sich selbst als Wertanlage zu verticken, das ist eine Neuinterpretation des Begriffs Humankapital. Und die Investoren wollen sich eines Menschen bemächtigen wie sonst einer Firma, um ihre Gewinne zu maximieren? Dass es nur um Profit gehen soll, dagegen wehren sich die Studienaktie-Leute entschieden. "Wichtig ist bei der Sache doch die Social Entrepreneurship", sagt Florian Lucke.

 

Soll heißen: Investoren sollten in erster Linie nicht an ihrem Gewinn interessiert sein, sondern daran, bedürftige Studenten zu unterstützen. "Viele der Investoren sind Idealisten, denen es vor allem um den Bildungsgedanken geht", sagt er.

Lucke, wie Lars Stein gern gekleidet in der Klassikkombi Jeans mit schickem Hemd, dazu ein Kurzhaarschnitt, baut gerade in Südafrika eine Art Geldinstitut zur Unterstützung kleiner Betriebe auf, um darüber seine Bachelorarbeit zu schreiben. Im Nebenjob hat er mittlerweile angefangen, Stein bei Studienaktie.org zur Hand zu gehen. "Es kommt nicht in Frage, dass nur Karrierefächer wie die Wirtschafts- oder Ingenieurwissenschaften unterstützt werden", sagt er.

Das eigene Leben als Businessplan

Derzeit finanzieren drei Studienaktie-Mitglieder ihr Studium oder ihre Ausbildung über das Steinsche System: Lucke, eine schweizerische Soziologiestudentin, die im Kongo forscht, und ein Schweizer, der eine Ausbildung in Kinesiologie, also alternativmedizinischer Therapie, macht. 45 Studenten stehen Schlange für das Konzept. "Viele steigen allerdings während des Bewerbungsverfahrens wieder aus", sagt Stein. "Entweder, weil sie sich für eine andere Finanzierungsform entscheiden, oder aber, weil ihnen der Ablauf zu kompliziert ist."

Die Bewerber müssen eine zweiseitige Online-Kurzbewerbung ausfüllen. Daraufhin entscheidet der Studienaktie-Vorstand, ob der Aspirant und sein Projekt zum Verein passen und ob das Ausbildungskonzept schlüssig ist. In einer zweiten Runde muss der Bewerber seinen Lebenslauf einschicken - und einen Lebensentwurf.

Mit Anfang zwanzig das eigene Leben als Businessplan? "Das ist der schwierigste Teil", gibt Stein zu. Denn die Studenten sollen detailliert angeben, wie sie sich ihre Karriere vorstellen. Eine Frage lautet: "Stell dir vor, du sitzt im Schaukelstuhl und schaust auf ein erfülltes Leben zurück. Was hast du erreicht?" Danach müssen die Studenten ein Dossier für die Investoren verfassen. Finden diese Gefallen daran, arrangiert Studienaktie ein Treffen. 15 Geldgeber hat der Verein derzeit an Bord.

"Investition im Sinne der Risikodiversifikation"

Die Prozedur sei eine "Zumutung", befand eine Bewerberin schon nach dem Schaukelstuhl-Teil und stieg prompt wieder aus. "Genial" findet hingegen Florian Lucke das gesamte Konzept. Sein Studium an der privaten Zeppelin University ist mit 4000 Euro pro Semester so teuer, dass ein KfW-Kredit für die Finanzierung allein nicht ausreichte. "Mit Hilfe der Investoren kann ich einen Teil der Gebühren decken", sagt Lucke, der mittlerweile im vierten Semester ist.

Zuvor hatte er sich in Berlin zum Möbeltischler ausbilden lassen und zwei Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Nun unterstützen ihn zwei Hochschuldozenten und ein Vermögensverwalter, der die Investition "im Sinne der Risikodiversifikation der Geldanlage seines Klienten gewählt hat", wie Lucke es ausdrückt. Sein vierter Investor ist Studienaktie-Gründer Stein, der seine Ausbildung ebenfalls über die Ausgabe von Privataktien finanziert hat - so gesehen, ist er der Ur-Pilotstudent.

Stein ist bereits dabei, seine Schulden zu begleichen. An 15 Investoren muss er insgesamt 30.000 Franken zahlen. "Ohne das Geld wäre ein Studium in der Schweiz bei den hohen Lebenshaltungskosten nicht möglich gewesen", sagt er.

Die meisten Interessenten für die Studienaktie-Idee kommen allerdings aus Deutschland. Daher braucht Stein Florian Lucke als Tester. "Bevor wir unsere Finanzierungsmöglichkeit auf breiter Basis in Deutschland anbieten können, müssen wir schauen, wie und ob wir unser System wirklich umsetzen können", sagt Stein. 2009 wollen sie einen deutschen Ableger von Studienaktie.org gründen.

Aktien ausgeben darf nicht jeder

Das Problem war bisher die deutsche Bankenaufsicht Bafin mit ihren sehr strengen Regeln; Aktien ausgeben, Darlehensverträge verfassen, das darf nicht jeder. Schnell wird's illegal. Ähnliches gilt zwar für die Schweiz, aber Stein hat einen Weg gefunden, das Problem zu lösen: Er gründete Studienaktie.org als gemeinnützige Organisation. "So sind wir von der Lizenzpflicht befreit", erklärt er. "Wir sind noch dabei, in Deutschland Erfahrungen zu sammeln. Es sieht aber so aus, als könnten wir das Schweizer Modell auch hier umsetzen", sagt Stein. "Solange sich wie bei Florian Lucke nicht zu viele Investoren engagieren."

Er nennt Studienaktie.org "ein organisches Projekt" und sagt: "Wir versuchen ständig, uns weiterzuentwickeln." Bisher zählt der Verein zwölf aktive Mitglieder und 30 Fördermitglieder.

Ganz neu ist Steins Idee der Selbstvermarktung nicht: Bereits vor 18 Jahren sammelte der Vater von Tennisprofi Thomas Haas auf ähnliche Weise Geld für die Sportler-Ausbildung seiner Kinder. 15 Investoren zahlten in den Neunzigern rund 750.000 Mark für Thomas und seine Schwester. Bis Ende 2004 wurde ihnen als Rendite 15 Prozent aller Einnahmen versprochen.

Doch als Thomas Haas dann zu den Weltbesten aufstieg - mit entsprechendem Verdienst -, blieben die Zahlungen an die Geldgeber aus. Erst als die Fördergemeinschaft klagte, zahlte der Tennisprofi die fällige halbe Million Mark.

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