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"Vie de merde": Französische Internetseite für die vom "Scheißleben" geplagten

Archivmeldung vom 27.03.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.03.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Auf der französischen Webplattform "Vie de merde" ("Scheißleben") packen User Peinlichkeiten, Ungereimtheiten und traumatische Erlebnisse ihres alltäglichen Daseins in tragikomische Erzählungen - und die ganze Welt liest mit.

Auf dem „Facebook für Loser“ beichten tausende User unter dem schützenden Mantel der Anonymität ihr „Scheißleben“. Die eifrige Community diskutiert und votet, ob es das Leben tatsächlich nicht gut mit dem Betroffenen meint oder die Pechvögel ihr Schicksal verdient haben. Die beliebtesten Storys: Berichte über traumatische Beziehungsgeschichten.

“Heute bekomme ich zwei SMS von meinem Mann. ‘Warte nicht auf mich, ich habe viel Arbeit. Küsschen, ich liebe dich.’ Wenig später folgt die zweite SMS: ‘Ich träume schon so lange von uns heute Abend. Keine Sorge wegen meiner Frau. Ich arbeite lang heute. Wir haben alle Zeit der Welt.’”

Frei nach dem Motto “Le malheur des uns fait le bonheur des autres” - “des einen Unglück ist des andern Glück” – ziehen solche Erlebnisberichte regelmäßig zehntausende User in ihren Bann. Laut Wall Street Journal ist „Vie de merde“  sogar der neunthäufigsten gegoogelte französische Seitenname.

„Vie de merde“ ist eine Mischung aus Facebook und usergenerierter Content-Plattform: User posten ihre Geschichten in Eingabemasken, ein dreiköpfiges Redaktionsteam wählt die Beiträge aus und überprüft die Ergüsse auf ihre Plausibilität.

“Heute bin ich mit jenem Mädchen ins Kino gegangen, von dem ich seit Monaten schwärme. Nach der Werbung sagt sie mir, sie müsse auf die Toilette … Sie ist nicht mehr zurückgekommen.”

Neben der Sicherheit, mit dem fiesen Schicksal nicht allein dazustehen, bilden Voyeurismus und Schadenfreude wohl die Hauptmotive hinter dem Erfolg der Plattform, die vor allem eine Gewissheit bietet: Irgendjemand hat es immer noch schlimmer erwischt als man selbst.

“Heute, nach einer Reihe von Untersuchungen, habe ich erfahren, dass ich steril bin. Meine Frau ist zum zweiten Mal schwanger. Ich glaube, ich muss ihr einige Fragen stellen.”

Der Seelenstrip wird aber – anders als bei Facebook – nicht zur Selbstdarstellung über Nicknames und Userprofile kanalisiert, es sind die Geschichten selbst, die Vie de Merde unter die 5000 erfolgreichsten Webauftritte der Welt bringen (Platz 4.363). Die Autoren bleiben strikt anonym: Ihre Beiträge werden ohne Verweis auf einen „Nick“ veröffentlicht.

“Heute stehe ich mit meiner sechsjährigen Tochter an der Supermarktkassa. ‘Papa, mir tut das Ding weh, das du mir in den Popo gesteckt hast.’ Das ‘Ding’ war ein Zäpfchen.”

“Ihre Geschichten aus dem Alltag” gibt der Untertitel der Website das Programm vor – kleine Geschichten, die den traumatischen Alltag in tragische wie komische Erzählungen überführen. Gegründet wurde die Seite vom erst 20-jährigen Maxime Valette, der das Projekt ursprünglich als Blog über seine persönlichen Frustrationen mit technischen Gerätschaften betrieb. Sukzessive öffnete Valette seinen Blog für Beträge seiner Leserschaft, die sich rasend schnell vermehrte und immer unterhaltsameren Content lieferte.

An die tausend Storys werden täglich an Vie de mere herangetragen, nur ein Dutzend schafft es auf die Homepage, die sich über kleine Werbeschaltungen finanziert.

“Heute, an meinem ersten Turnustag als Arzt: der erste Patient meines Lebens. Er starb in dem Moment, als ich dabei war, ihm Blut abzunehmen.”

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