Siemens im Schmiergeldsumpf - Das Geschäft der Korruptionsermittler
Archivmeldung vom 05.10.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.10.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFrühmorgens um sechs Uhr am 15. November 2006 bricht die bis dahin heile Siemens-Welt zusammen. Rund 250 Ermittler der Münchner Staatsanwaltschaft durchsuchen gemeinsam mit Steuerfahndern und Polizisten die Siemens-Büros an verschiedenen Standorten und Privatwohnungen in Deutschland und Österreich.
Die auf
Wirtschaftsdelikte spezialisierten Beamten suchen nach Beweisen für
die jahrelange Korruptionspraxis bei Auslandsgeschäften des
Weltkonzerns.
Ein Siemens-Chefbuchhalter hat ausgepackt und die Siemens-Spitze
schwer belastet. Noch gehen die Staatsanwälte von
Schmiergeldzahlungen in Höhe von 200 Millionen Euro aus. 36.000
Aktenordner werden als Beweismittel gesichert, mehrere Manager
verhaftet. In den folgenden Monaten werden nach Vernehmungen und
Aktenauswertung mindestens 1,5 Milliarden Euro an dubiosen Zahlungen
identifiziert (derzeitiger Stand). Schmiergeldzahlungen waren
offenbar Teil des ganz normalen Geschäftsbetriebs; sie wurden meist
über sogenannte Berater abgewickelt und dienten dazu, Aufträge
überall in der Welt zu beschaffen. Zahlreiche Siemens-Manager müssen
sich nun wegen Bestechung, Untreue und Steuerhinterziehung vor
Gericht verantworten. Die Anklageschrift wollen die auf Korruption
spezialisierten Staatsanwälte noch im Oktober vorlegen. Der Prozess
beginnt Anfang nächsten Jahres.
Schmiergeld mit System als Vertriebs-Instrument
Die Grauzone war im Siemens-Konzern bürokratisch genau
ausgezirkelt und Teil der Geschäftskultur wie sich aus Verträgen,
Revisionsberichten und internen Auswertungen für Aufsichtsrat und
Konzernvorstand ergeben, die dem SWR vorliegen. Die internen Dossiers
belegen zudem: Die Korruptionsvorgänge wurden zum Teil von Juristen
der hausinternen Anti-Korruptions-Abteilung detailliert dokumentiert
- so etwa im Fall Nigeria 2003. Für den Auftrag, das staatliche
Telefonnetz des Entwicklungslandes zu erweitern, zahlte Siemens
vertraglich abgesichert Schmiergelder in Höhe von 25 Prozent des
Auftragswertes. Diese Berichte, Hunderttausende von Mails sowie viele
tausend Siemens-Verträge mit Beratern studieren seit Monaten die
Mitarbeiter der US-Kanzlei Debevoise & Plimpton.
Die auf Korruption spezialisierten Ermittler wurden vom
Siemens-Aufsichtsrat damit beauftragt, die gesamte Korruptionsaffäre
weltweit systematisch aufzuklären. Rücksichtslos. In Form und
Intensität ist diese flächendeckende Ermittlung einmalig; manche
Siemensianer fühlen sich regelrecht "ausspioniert". Die rigiden
Ermittlungen durch externe Spezialisten lässt sich Siemens jeden Tag
etwa eine Million Euro kosten.
Die amerikanische Börsenaufsicht SEC treibt die Ermittlungen
unerbittlich voran
Denn nur durch eine lückenlose Aufklärung und den Verzicht auf
jegliche Form von Korruption kann Siemens das Strafmaß der
US-Börsenaufsicht SEC beeinflussen. Weil Siemens seit März 2001 an
der New Yorker Börse notiert ist, gilt für den Technologiekonzern mit
Vertretungen in 190 Ländern amerikanisches Recht. In Fragen der
Korruption und Bestechung kennt die SEC kein Pardon. Das weiß das
Siemens-Management und erfüllt freiwillig jede Auflage der
US-Börsenaufsicht. Auf Siemens können möglicherweise Strafgelder in
Milliardenhöhe zukommen. Im schlimmsten Fall wird der multinationale
Konzern (Umsatz 87 Milliarden Euro und 475.000 Mitarbeitern) für eine
bestimmte Zeit von öffentlichen Aufträgen in Nordamerika
ausgeschlossen. Dies würde, so Konzern-Betriebsratschef Ralf
Heckmann, "zigtausende
Jobs hier kosten".
Ex-Innenminister Schily im Dienst des Siemens-Vorstands
Längst betrifft der anstehende Strafprozess nicht allein den
deutschen Traditionskonzern Siemens. "Der Fall hat Schockwellen in
der deutschen Industrie ausgelöst", analysiert der
Wirtschaftsrechts-Experte Prof. Michael Adams von der Universität
Hamburg. Der künftige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein
(CSU) sieht Siemens in einer existenziellen Bedrohung und spricht von
einer "Tragödie". Er warnt vor einer "Kriminalisierung" des Konzerns,
der seit jeher exzellente Kontakte zur Politik pflegt. Denn je nach
Ermittlungsergebnis und Strafmaß in Deutschland und den USA geht es
auch um den "Standort Deutschland" und die Wettbewerbsfähigkeit der
exportorientierten Großunternehmen. Dies hatte der frühere
Aufsichtsratchef Heinrich von Pierer bereits kurz nach der Razzia im
November 2006 erkannt. Vermittelnde Kontakte zu Politik und Justiz
waren in dieser Lage notwendig. Deshalb nahmen sie Tuchfühlung mit
dem früheren Innenminister Otto Schily (SPD) auf und vereinbarten
schließlich einen gut dotierten Beratervertrag. Der frühere
Spitzenpolitiker und Kanzler-Vertraute erhält für seine "juristische
Beratertätigkeit", die im Frühjahr 2007 begann, 20.000 Euro im Monat.
Gegenüber dem SWR sagte Otto Schily, dass er "grundsätzlich nicht
öffentlich über seine Mandate" spreche.
Die Folge: Vom "schwarzen Schaf" zum Saubermann unter den deutschen Konzernen?
Heute ist der Ausgang der Ermittlungen und das Ergebnis des
Strafprozesses im Fall Siemens noch nicht absehbar. Gleichwohl sieht
der stellvertretende Aufsichtsratschef Werner Heckmann in der Krise
auch eine Chance. Auf Hochtouren werden derzeit alle
Geschäftsprozesse im Siemens-Konzern neu ausgerichtet und die Treue
zu Recht und Gesetz scharf kontrolliert. Siemens-Vorstandschef Peter
Löscher sieht seine wichtigste Aufgabe sogar darin, "die gesamte
Unternehmenskultur" zu ändern. Dass Löscher es mit dieser Forderung
nicht bei Lippenbekenntnissen belässt, hat er im Zusammenspiel mit
dem neuen Aufsichtsratschef Gerhard Cromme bewiesen. Zug um Zug kappt
er alte Seilschaften, verkleinert den Vorstand und setzt Manager
seines Vertrauens ein. Die schonungslose Ermittlung aller
Korruptionshandlungen und illegalen Aktivitäten ist nicht mehr
umkehrbar. Eine paradoxe Situation: Der größte Schmiergeldskandal in
Deutschland ist gleichzeitig verbunden mit der größten
konzerninternen Aufklärungsaktion, die jemals in Deutschland
durchgeführt wurde.
US-Anwalt Michael Hershmann in einem Interview über die Korruptionsaffäre
Der in Bremen geborene US-Anwalt Michael Hershman (61) ist
weltweit einer der bekanntesten und erfahrensten
Korruptionsbekämpfer. Mit seiner Firma "Fairfax Group" berät der
frühere "Watergate-Aufklärer" den Siemens-Vorstand bei der
Bewältigung der Korruptionsaffäre. In einem Interview mit dem SWR
analysiert er die Bedrohung durch Korruption und die Chancen der
Gegenwehr.
Thomas Leif: Warum ist Korruption so gefährlich?
Michael Hershman: Wenn Sie Schmiergelder an Offizielle in Regierungen
zahlen, dann müssen Sie ihre Einnahmen steigern um die Kosten für
solche Schmiergelder zu decken. Das bedeutet, dass weniger Geld
vorhanden ist, das für die Entwicklungsländer ausgegeben werden kann.
Korruption ist eine Bedrohung für demokratische Organisationen.
Thomas Leif: Sie haben bereits zahlreiche Korruptionsfälle
ermittelt. Welches Handwerkszeug benutzen sie?
Michael Hershman: Ich muss wirklich nicht wie James Bond arbeiten.
Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, Geschäftsberichte und
E-Mails zu studieren, Mitarbeiter zu befragen, mit Leuten innerhalb
und außerhalb des Unternehmens zu sprechen und diese Gespräche dann
auszuwerten.
Thomas Leif: Haben Sie besondere Tricks?
Michael Hershman: Ich würde nicht von besonderen Tricks sprechen. Ich
habe eine große Erfahrung mit Interviews mit Personen, von denen man
glaubt, sie wissen mehr über kriminelle Handlungen als sie zugeben.
Sie müssen die Menschen überzeugen, dass es in ihrem eigenen
Interesse ist, zu kooperieren.
Thomas Leif: Glauben Sie, der "Fall Siemens" lässt sich aufklären?
Michael Hershman: Ich habe keine Zweifel, dass es eine Lösung im
Siemens-Fall geben wird. Aber die Lösung wird vielschichtig sein.
Eine der Lösungen muss sein, dass so etwas in der
Zukunft nicht mehr passieren darf.
Thomas Leif: Warum sind sie optimistisch?
Michael Hershman: Ich bin optimistisch, weil die Führungsmannschaft
des Konzerns unerbittlich ist, um Ergebnisse zu bekommen. Außerdem
habe ich genug Berufserfahrung, um beurteilen zu können, was möglich
ist, und was nicht geht.
Der größte Wirtschaftsskandal der
Nachkriegsgeschichte
Ein Film von Thomas Leif, SWR Fernsehen, 15.10.2007, 22.30 Uhr.
Quelle: Pressemitteilung SWR