Stasi-Unterlagen-Beauftragter Jahn fordert finanzielle Hilfen für DDR-Zwangsarbeiter
Archivmeldung vom 12.10.2015
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.10.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Bundesbeauftragte für die Unterlagen der ehemaligen DDR-Staatssicherheit, Roland Jahn, hat sich in einem Interview für die ARD-Dokumentation "Ausgebeutet für den Klassenfeind - Wie DDR-Zwangsarbeiter für Westfirmen leiden mussten" (Erstausstrahlung Montag, 12.10., 23.30 Uhr, Das Erste) für finanzielle Hilfen für die Opfer von DDR-Zwangsarbeit ausgesprochen. Er betonte, dass sowohl der Staat als auch die Westkonzerne, die von der erzwungenen Arbeit politischer Häftlinge profitiert hätten, gefordert seien. Die Zwangsarbeit müsse im bestehenden System der Rehabilitierungen und Ausgleichzahlungen für DDR-Unrecht berücksichtigt werden, sagte Jahn. Dafür müssten jetzt Kriterien entwickelt werden.
Für die ARD-Dokumentation wurden rund 20 Konzerne angefragt, die Produkte aus DDR-Betrieben bezogen haben, die auch Zwangsarbeiter einsetzten. Davon erklärte allein das Unternehmen Ikea, man sei zu einem Gespräch über Entschädigung bereit. Galeria Kaufhof schlug einen freiwilligen Fonds zur Aufarbeitung der DDR-Zwangsarbeit vor. Die Deutsche Bahn AG hat sich für Zwangsarbeit bei der Reichsbahn bereits bei den Opfern entschuldigt und beteiligt sich an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung.
Der Stasi-Unterlagen-Beauftragte Jahn sagte: "Es ist eine Frage der Gegenwart. Die Menschen leiden bis heute daran, dass sie dort Häftlingsarbeit leisten mussten, weil sie wegen ihrer politischen Gesinnung im Gefängnis saßen. Und da einen Weg finden, wie wir diesen Menschen helfen können, das ist eine Herausforderung sowohl für die Politik als auch für die Firmen, die damals beteiligt waren an diesem deutsch-deutschen Handel - ja, an dem Handel mit einer Diktatur." Staat und Firmen sollten einen materiellen Beitrag leisten. Jahn verwies auf die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen politische Häftlinge Produkte auch für Westkonzerne fertigen mussten. "Die Erkenntnis, dass man Teil dieses Handels war, sollte doch Grund genug sein, dass man die Opfer würdigt, über das Unrecht aufklärt und auch humanitäre Leistungen erbringt, die den Menschen helfen können." Jahn sagte, individuelle Entschädigungsleistungen seien schwer umsetzbar, betonte aber die Notwendigkeit finanzieller Hilfen für Opfer von Zwangsarbeit: "Es gilt, die Häftlingsarbeit einzubeziehen in das System von Rehabilitierungen und Ausgleichszahlungen. Es gilt zu beachten, dass hier Menschen besonders gelitten haben und auch die Folgen bis heute tragen. Aber das muss eingebettet sein, auch in die Entwicklung von Kriterien, die sicherstellen, dass hier ein Weg der Gerechtigkeit gegangen wird und nicht für neues Unrecht gesorgt wird."
Die Ostbeauftragte der Bundesregierung und parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Iris Gleicke (SPD), äußerte sich im Interview für die ARD-Dokumentation "Ausgebeutet für den Klassenfeind" kritisch zu Forderungen nach Entschädigung an die Bundesregierung. Sie verwies darauf, dass es keine zentrale staatliche Weisung in der DDR zur Schlechterstellung der politischen Gefangenen gegenüber den Kriminellen gegeben habe. "Insofern bin ich sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, Forderungen aufzumachen, die über die jetzige strafrechtliche Rehabilitation und damit Haftentschädigung oder Opferrenten hinausgehen, und auch, wenn es darum geht, Forderungen gegenüber einem Entschädigungsfonds aufzumachen, an dem sich Firmen beteiligen." Weiter betonte sie: "Mir geht es ganz einfach darum, dass wir denjenigen, die Unrecht erfahren haben, deren Menschenrechte verletzt worden sind, die ausgebeutet worden sind, dass wir da keine falschen Hoffnungen wecken, deshalb bin ich da an der Stelle sehr zurückhaltend."
Die ARD-Dokumentation "Ausgebeutet für den Klassenfeind - Wie DDR-Zwangsarbeiter für Westfirmen leiden mussten" deckt mit exklusiven Recherchen auf, wie politische Häftlinge in der DDR ausgebeutet wurden und welche namhaften Westkonzerne damit hohe Gewinne erzielten. Die Autoren, Achim Reinhardt und Claudia Butter, beide Reporter des investigativen Politikmagazins "Report Mainz", recherchieren bereits seit Jahren zum Thema Zwangsarbeit. Sie haben für die Dokumentation wochenlang im Bundesarchiv, im Stasi-Archiv sowie in Landesarchiven recherchiert und mit zahlreichen Zeitzeugen und Wissenschaftlern gesprochen. Sie konfrontieren ehemalige DDR-Verantwortliche und Konzernmanager, fragen die Bundesregierung nach ihrer Verantwortung für die Opfer von Zwangsarbeit. Mit der Kamera begleiten sie politische Häftlinge, die DDR-Täter und Profiteure von einst zur Rede stellen.
Die 45-minütige Dokumentation "Ausgebeutet für den Klassenfeind - Wie DDR-Zwangsarbeiter für Westfirmen leiden mussten" sendet Das Erste am Montag, 12.10.2015 um 23.30 Uhr.
Quelle: SWR - Südwestrundfunk (ots)