Gequält, totgeschlagen und weggeworfen - Das Leid in Deutschlands Ferkelfabriken
Archivmeldung vom 11.07.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.07.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs sind schockierende Bilder. Gerade geborene Ferkel werden scheinbar im Vorbeigehen reihenweise getötet - entweder auf den Boden oder gegen die Stallkante geschlagen. Bilder, die die ARD in ihrer Reihe "Exclusiv im Ersten" am Montag, den 14.7.2014, um 21.35 Uhr zeigt. Die Autoren Monika Anthes und Edgar Verheyen ermöglichen durch ihre investigative Reportage einen schonungslosen Blick in den Alltag von deutschen Ferkelzuchtbetrieben. Es ist ein Alltag, geprägt von Schmerzen und Tod. Sauen vegetieren in engen Kastenständen, können sich nicht umdrehen, nur mit Mühe aufstehen. Viele haben offene Wunden, wirken apathisch.
Unzählige Ferkel überleben die ersten Stunden nicht. Die Aufnahmen sind nur schwer zu ertragen, dennoch glauben die Autoren, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, sie zu sehen. Sie gehen der Frage nach: Warum werden so viele Ferkel getötet? Handelt es sich um drastische Einzelfälle? Oder steckt ein grausames System dahinter? Ist das der Preis, den die Tiere dafür zahlen, damit Fleisch zu Discountpreisen angeboten werden kann?
Es ist eine breit angelegte Recherche. Die Autoren haben etliche Betriebe unter die Lupe genommen. In rund 10 Ställen haben Tierschützer kleine Kameras installiert, konnten so dokumentieren, wie das Personal mit den Tieren umgeht. Immer wieder filmen sie ähnliche Szenen: Arbeiterinnen gehen durch die Ställe und greifen Ferkel aus den Stallbuchten, schlagen diese routiniert auf den Boden oder die Stallkante, werfen sie dann in überfüllte Kadavertonnen. Eine Aufnahme aus einem Großbetrieb zeigt, wie lebende Tiere in Eimer geworfen und dann mit toten Tieren und Nachgeburten bedeckt werden.
Dr. Karl Fikuart, ehemaliger Kreisveterinärdirektor, sagt dazu: "Das ist eine Verrohung, die kaum noch zu übertreffen ist. Das sind keine Tierunterkünfte mehr, das ist eine Fabrik. Ich schäme mich als Tierarzt, dass wir nicht aufgepasst haben, dass dieses System sich nicht in dieser Form ausbreiten konnte und praktisch zum Standard geworden ist." Die Fülle des Bildmaterials, sowohl aus Großbetrieben als auch aus kleinen Familienbetrieben, legt den Verdacht nahe, dass es sich nicht um das Versagen Einzelner handelt.
Der rohe Umgang mit den Tieren hat System, davon ist auch Dr. Cornelie Jäger, Veterinärin und Tierschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, überzeugt: "Insgesamt reden wir von hunderttausenden von Tieren, die wahrscheinlich Überlebenschancen gehabt hätten und zu Unrecht gestorben sind, oder getötet worden sind."
Der Lebensmittelökonom Prof. Markus Mau sieht den Grund für diese Auswüchse in den niedrigen Fleischpreisen: "Ferkelaufzucht ist ein Massengeschäft. D.h. man muss sich als Landwirt überlegen, wie viel Zeit habe ich für das einzelne Ferkel, damit ich überhaupt in die Verlegenheit komme, Geld zu verdienen. In letzter Konsequenz als Landwirt bin ich Unternehmer und es muss ja auch was überbleiben. Und leider ist es so, dass bei den Abgabepreisen praktisch nichts überbleibt. Die Tiere tragen in letzter Konsequenz die Auswirkung der Preisstruktur, die wir im Supermarkt mit erzeugen."
Billigfleisch im Supermarkt, das geht nur durch eine extrem rationalisierte, kostenorientierte Produktion. Um das zu erreichen, haben die Ferkelzüchter in den letzten Jahren vor allem auf eines gesetzt: Masse. Möglichst viele Ferkel pro Sau, war das Ziel der Zucht. Die Folge ist, dass heute sehr viele Sauen mehr Ferkel werfen, als sie ernähren können. Außerdem werden viele kleine Tiere geboren, deren Aufzucht aufwendig und teuer ist, erklärt Dr. Cornelie Jäger. "Diese Tiere haben eine Chance. Aber das würde halt bedeuten, dass man Aufwand betreibt mit einer speziellen Krankenbucht, mit einer Amme, auch mit entsprechender nächtlicher Überwachung. Machen kann man das, aber das ist eine Frage des Geldes." Doch finanzielle Überlegungen sind kein vernünftiger Grund, um ein Ferkel zu töten. Das haben die Landwirtschaftsminister von NRW und Niedersachsen Anfang Juli nochmals per Erlass klar gestellt. Wer einem Tier Leiden oder Schmerzen zufügt oder es ohne vernünftigen Grund tötet, kann zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden. Aktuell ermitteln in Deutschland aus diesem Grund zwei Staatsanwaltschaften gegen Ferkelzuchtbetriebe. Die Autoren stellen die Betriebe zur Rede und konfrontieren die Verantwortlichen mit den Vorwürfen.
Die bittere Bilanz dieser Recherche: In Deutschlands Ferkelfabriken werden Tiere systematisch Leiden und Schmerzen ausgesetzt, Ferkel häufig ohne einen vernünftigen Grund unsachgemäß getötet.
Quelle: SWR - Das Erste (ots)