Individuation fördert sexuelle Leidenschaft und Partnerschaft
Archivmeldung vom 09.01.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie verklärte Vision des harmonischen Gleichfühlens birgt große Gefahren für zwischenmenschliche Beziehungen.
"Am Anfang ist eine romantische Beziehung wichtig und normal, um eine gute Basis für spätere Ungleichheiten zu schaffen", erklärt die Psychotherapeutin Sabine Fischer im pressetext-Interview. In einer reifen Beziehung hingegen müsse man aufpassen, dass man sich nicht selbst verliert, weil man sich zu stark an den anderen anpassen muss.
"Wir zeigen uns dann nicht mehr, wie wir wirklich sind, sondern wie uns andere wünschen. Die Folge davon ist, dass man ein falsches Selbst entwickelt", so Fischer. "Da es ein Urwunsch des Menschen ist, nicht abgelehnt zu werden, tappt man sehr leicht in die Falle, dem anderen zu gefallen und sich dadurch stark anzupassen", erklärt die Beziehungstherapeutin. "Die Beziehung wird langweilig, da kaum Raum für neue Handlungsweisen und eigene Ideen bleibt." Zudem würden dadurch viele Bereiche und Themen aus der Beziehung ausgeschlossen. "Die Folge davon sind Erstarrung und dadurch Unzufriedenheit."
Gefühle des anderen sind nicht die eigenen
"Die Gefühle des anderen dürfen nicht die eigenen werden", so Fischer. "Negative" Emotionen bilden ein Paradebeispiel. "Wenn einer schlecht gelaunt ist, sind beide schlecht gelaunt." Es gehe jedoch darum, ein stabiles Selbst zu entwickeln. "Das Orientieren am Partner ist positiv, allerdings darf dabei das eigene stabile Selbst nicht aufgegeben werden."
Der Ursprung dieses Verhaltens liegt in der Kindheit. "Im Laufe der Entwicklung erwirbt das Kind verschiedene Arten der Befriedigungssuche, die jeweils als Gegenteilpaar - aktiv und passiv - vorhanden sind. Das ist der Beginn der späteren Sexualität", erklärt Fischer. "Durch diese Polaritäten entstehen seelische Konflikte. Die aktive und passive Ausrichtung der Wünsche ist unvereinbar, da man nicht gleichzeitig passiv und aktiv sein kann."
Kindheit als Ursprung der Individuation
"Der Ursprung der Individuation liegt in der Kindheit", so die Psychotherapeutin. Es stelle sich die Frage, ob einem Kind keine eigenen Emotionen erlaubt werden, ob es unzufrieden sein dürfe oder es so fühlen muss, wie die Eltern. "Das Erlauben von Emotionen ist nicht gleichzusetzen damit, dass ein Kind alles bekommt."
Es gibt Familien, in denen ein Elternteil so dominant ist, dass alle Familienmitglieder dann so fühlen müssen wie er oder sie, erklärt Fischer. "Etwa beim Abendessen, wenn der Vater Ärger in der Arbeit hatte, schlecht gelaunt ist und keine Scherze am Tisch erlaubt."
Sich selbst den Halt geben
"Es wird vom Partner oft erwartet, dass alle Bedürfnisse befriedigt werden. Doch in einer befriedigenden Beziehung ist es unerlässlich, an sich selbst zu arbeiten", betont die Expertin. "Sich weiterzuentwickeln heißt, sich selbst Halt zu geben und die Illusion aufzugeben, dass der andere dabei hilft, alles auszuhalten. Der andere ist da, aber nimmt den Schmerz nicht ab."
"Anzeichen für eine Weiterentwicklung in einer Beziehung sind ein respektvollerer Umgangston, Platz für Themen, die zuvor ausgegrenzt wurden, Klartext zu reden und mit Vorhaltungen und Maßregelungen aufzuhören." Wut eskaliere dann nicht mehr. "Trennung kann in der Luft liegen, man wird aber nicht mehr davon verfolgt."
"Um Individuation zu fördern, hilft es, eine positive Beziehung zum Partner herzustellen, den ersten Schritt zu machen und keine Ultimaten zu setzen. Man ist mit dem Partner zusammen, weil man möchte und nicht weil man nicht anders kann", erklärt Fischer. Dies sind Kennzeichen einer reifen Beziehung.
Quelle: pressetext.austria (Wolfgang Weitlaner)