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Hauptsache Arsch

Archivmeldung vom 27.04.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.04.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Symbolbild
Symbolbild

Bild: Screenshot/Beschwerdefuehrer/werberat.de sexistische Werbung / Eigenes Werk

Was haben Frauenhintern mit Gemüse, Autoreifen und Jobperspektiven zu tun? Das haben sich Menschen in Deutschland beim Anblick entsprechender Werbeinhalte gefragt – und Beschwerde wegen sexistischer Werbung eingelegt. Der Werberat erteilte nun fünf öffentliche Rügen. Grundsätzlich gilt dort jedoch: Sexy ist nicht gleich sexistisch.

Weiter berichtet die deutsche Ausgabe von Sputnik: "Dem PR-Mann des mittelständischen Transportunternehmens, das Tiefkühlkost ausliefert, stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Das Rad neu erfinden kann er nicht, aber mit Bildern von tiefgefrorenen Möhrchen und Erbsen gewinnt man auf dem heutigen Werbemarkt auch keinen Blumentopf mehr, beziehungsweise keine neuen Kunden. Mal überlegen … Was ist denn mit Frauenhintern?

So oder so ähnlich könnte die Geburtsstunde der Werbung von „Lehmann Transporte“ verlaufen sein. Auf der Rückseite eines LKW wirbt das Unternehmen mit einem großformatigen Bild eines Frauenpos im Stringtanga, garniert mit dem vielsagenden Spruch „… wir bringen’s knackig …“. Der Zusammenhang zwischen Hintern und Gemüse ist aber anscheinend nicht Jedem aufgegangen. Und vor allem hat die Werbeaktion „Lehmann Transporte“ eine Beschwerde vor dem Werberat eingebracht.

Der Werberat befand, die abgebildete Frau werde durch den Slogan mit der angebotenen Ware gleichgesetzt und durch die Reduzierung auf ihr Gesäß und ihre Körperlichkeit auf sexistische Weise dargestellt. Für das Transportunternehmen gab es deswegen jetzt eine öffentliche Rüge. Ebenfalls mit Rügen belegt, und ebenfalls wegen Frauenhintern, wurden eine Bauzaunwerbung, ein Plakat eines Reifenservice und die Werbung einer Zeitarbeitsfirma, die „Jobs mit Perspektive“ anbietet.

Das weibliche Gesäß scheint immer zu ziehen – ganz egal, was da eigentlich verkauft werden soll. Wie soll man auch in unserer schnelllebigen Werbewelt mit ihrer Flut an Bildern, Slogans und Animationen noch etwas an den Mann bringen, bei gleichzeitig abnehmender Aufmerksamkeitsspanne und fortschreitender Abstumpfung der Sehgewohnheiten der Endkunden?

Hintern und Brüste problematisch, klischeehafte Frauenbilder nicht

Der Werberat sagt: Sexy darf die Werbung ruhig sein, nur eben nicht sexistisch. Zu den Kriterien heißt es im Jahrbuch 2017 des Werberates:

„Aus Sicht des Werberats ist eine Werbung sexistisch, wenn in ihr eine Person (meistens Frauen) als potentielles Objekt sexueller Bedürfnisse, sexueller Verfügbarkeit oder Käuflichkeit mit Motiv und oder Text vorgeführt wird. Zu den Bewertungskriterien des Werberats gehören zum Beispiel, ob in einer Werbemaßnahme weibliche Brüste oder das Gesäß besonders herausgestellt werden, ob ein Frauenkörper vollständig mit Kopf und Gesicht gezeigt wird oder nur ein herausgestelltes Dekolleté. Zu berücksichtigen ist auch die Art des beworbenen Produkts: Ein direkter Bezug ist nicht zwingend erforderlich; es dürfen aber keine beleidigenden oder herabwürdigenden Elemente in der Werbung enthalten sein.“

Nicht zwingend zu beanstanden sind für den Werberat hingegen Werbeinhalte, die klischeehafte und konservative Frauenbilder bedienen. Als Beispiele nennt das Jahrbuch stichpunktartig: „Frauen kümmern sich überwiegend um den Haushalt, die Kinder und die Pflege von Angehöri¬gen, mögen keinen Fußball, interessieren sich in erster Linie für ihr Aussehen und Mode etc.“

Moralhüter der Gesellschaft

Seit 45 Jahren bemüht sich der Werberat darum, dass „Anstand, Moral und soziale Verantwortung in der Werbung beachtet werden“. Staatliche Aufsicht gibt es nicht. Der Werberat agiert als Selbstkontrollorgan der Wirtschaft. Für die Bewertung der Beschwerden gibt es einen Kodex mit global geltenden Mindestanforderungen, der von der Internationalen Handelskammer (ICC) festgelegt wurde. Dieser werde je nach Land und Gesellschaft aber unterschiedlich ausgelegt, heißt es im Jahrbuch des Werberates:

„Wann genau eine konkrete Werbung als verletzend oder als Grenzüberschreitung empfunden wird, legt der Kodex selbst nicht fest. Denn dies wird maßgeblich durch die jeweilige Gesellschaft und die nationale Selbstregulierungsorganisation selbst ‚bestimmt‘ und ist außerdem einem ständigen Wandel unterworfen.“

Ob der Gemüse anpreisende Frauenpo nun in Italien anders wahrgenommen würde als in Deutschland – dass die Sensibilität gegenüber Sexismus länderübergreifend gestiegen ist, zeigen globale Bewegungen wie #MeToo, verstärkt geführte Debatten über Geschlechterrollen und Machtverteilung, aber auch die steigende Zahl von Beschwerden, die aufgrund von frauenfeindlichen oder diskriminierenden Werbeinhalten bei den entsprechenden Stellen eingehen.

Aus der Beschwerdebilanz für das Jahr 2017 geht hervor, dass „geschlechterdiskriminierende Werbung“ mit 321 von insgesamt 530 Fällen, die vor den Deutschen Werberat kamen, erneut unangefochtener Spitzenreiter ist und im Vergleich zum Vorjahr um satte 18 Prozent zugenommen hat. Weit abgeschlagen folgt mit 64 Fällen auf dem zweiten Platz die Kategorie „Ethik und Moral“, auf Platz 3 mit immerhin noch 45 Fällen liegt „Diskriminierung von Personengruppen“.

Geschützt oder zensiert?

Seit seiner Gründung 1972 sind beim Werberat insgesamt 25.556 Beschwerden eingegangen. Weniger als die Hälfte wurden als tatsächliche Fälle für den Werberat identifiziert. In 3.349 führte die Untersuchung zu Beanstandungen durch den Werberat. In fast allen Fällen haben die Unternehmen dem Jahrbuch zufolge ihre Fehler eingesehen und die beanstandeten Inhalte entfernt oder geändert. Die „Durchsetzungsquote“ liegt laut dem Werberat bei 94 Prozent.

Diese Statistik zeigt: Längst nicht jede Beschwerde wird als begründet bewertet. Was meinen erzkatholischen Nachbarn vielleicht ärgert, muss noch lange nicht gesellschaftlich inakzeptabel sein. Es wird aber auch nicht verboten und staatlich zensiert, sondern im Gespräch mit den Unternehmen angemahnt und, sollte das beanstandete Unternehmen an der Werbung festhalten, öffentlich gerügt. Das ist erfreulich, denn Zensur hat in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nichts verloren.

Schließlich mag der Frauenhintern nicht der ideale Werbeträger sein, um Gemüse oder Reifen zu verkaufen. Aber lasst uns doch mal auf dem Teppich bleiben: Es ist plump und nicht besonders originell. Aber wenn wir hier tatsächlich über geschlechtsspezifische Diskriminierung sprechen wollen, dann müssen wir an ganz anderer Stelle ansetzen."

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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