Jüngster Menschenaffe Europas entdeckt
Archivmeldung vom 14.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMenschenaffen haben länger in Europa gelebt, als bisher angenommen: Das belegt ein sieben Millionen Jahre alter Vor-Backenzahn eines Hominiden, den Wissenschaftler nahe der bulgarischen Stadt Chirpan gefunden haben. An dem internationalen Forschungsprojekt mit Wissenschaftlern der „Bulgarischen Akademie der Wissenschaften“ und des französischen „Centre National de la Recherche Scientifique“ ist auch Professor Madelaine Böhme vom Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoecology an der Universität Tübingen beteiligt. Der Fund könnte Anlass sein, die Geschichte der Menschheit in wesentlichen Punkten zu revidieren: Bisher gingen Forscher davon aus, dass die Menschenaffen in Europa vor ca. neun Millionen Jahren wegen veränderter Klima- und Umweltbedingungen ausstarben und sich nur in Afrika weiterentwickeln konnten.
Unter Leitung von Nikolai Spassov vom Nationalmuseum für Naturgeschichte in Sofia war der Backenzahn bei Grabungen in Flussablagerungen nahe Chirpan entdeckt worden. Dass er von einem Hominiden stammt, lässt sich unter anderem an seiner dicken Zahnschmelz-Schicht erkennen. Der Zahn ist stark abgenutzt und gehörte vermutlich zu einem älteren Individuum. Mit der Datierung auf sieben Millionen Jahre sind die Forscher damit auf den jüngsten Menschenaffen auf dem europäischen Festland gestoßen, ihre Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich im Journal of Human Evolution.
Als jüngster Menschenaffe galt bisher der 9,2 Millionen Jahre alte Ouranopithecus macedoniensis aus Griechenland. Nach der gängigen These starben die Menschenaffen auf dem europäischen Kontinent vor etwa neun Millionen Jahren aus. Damals veränderten sich in Europa die Ökosysteme, savannenartige Landschaften mit saisonalem Klima entstanden. Menschenaffen als typische Fruchtfresser konnten, so glaubte man, durch ein saisonales Defizit an Früchten nicht überleben. Und tatsächlich fand das Team in der Fundschicht des Zahnes auch Fossilien einer typischen Savannen-Fauna, darunter mehrere Elefantenarten, Giraffen, Antilopen, Nashörner und Säbelzahn-Katzen. Der Fund des Backenzahns legt deshalb nahe, dass die Menschenaffen Europas sehr wohl in der Lage waren, sich an das wechselnde Klima einer Savanne anzupassen. Darauf deutet auch die rasterelektronenmikroskopische Untersuchung der Kaufacetten des Zahnes hin. Diese belegen, dass der bulgarische Menschenaffe härtere und abrasivere (verschleißintensivere) Nahrung wie Gräser, Samen und Nüsse zu sich nahm. Darin ähnelt seine Ernährungsweise jener der afrikanischen Vor-Menschen vor ca. vier Millionen Jahren (z.B. die Australopithecinen wie „Lucy“).
„Auch was die Evolution des Menschen betrifft, muss man völlig neu darüber nachdenken, wo sie sich abgespielt hat“, sagt Professor Madelaine Böhme. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Evolution des Menschen ausschließlich in Afrika stattfand und die Menschen von dort in andere Kontinente auswanderten. „Es mehren sich aber die Hinweise, dass sich ein gewisser Teil der menschlichen Evolution auch außerhalb Afrikas, in Europa und Westasien, ereignete.“
Dass in den frühen Episoden der Menschheitsgeschichte mehr Migration stattgefunden hat, als gedacht, zeigten die Paläontologen des Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoecology an der Universität Tübingen bereits im Juni 2011, als sie den ältesten Menschenaffen Europas präsentierten. Auch hier war ein Backenzahnfund der Schlüssel: Ausgegraben südwestlich von Sigmaringen, im schwäbischen Alpenvorland, wurde er auf 17 Millionen Jahre datiert. Die Tübinger Arbeitsgruppe für Paläoklimatologie hatte unter Böhmes Leitung das damalige Klima der Region rekonstruiert und so gezeigt, dass Menschenaffen bereits in dieser Zeit unter einem tropisch-subtropischen Feucht-klima von Afrika nach Eurasien ausgewandert waren. Beide Arbeiten zusammen belegen damit eine mindestens zehn Millionen Jahre währende Besiedlung Europas durch Menschenaffen und eine signifikante Evolution in der Ernährung von Fruchtfressern hin zu Konsumenten härterer Nahrung.
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen (idw)