Der Blair-Witch-Kult und seine Fakten
Archivmeldung vom 10.01.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.01.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Jens BrehlWelche Ereignisse führten zu dem sogenannten „Blair-Witch-Kult“, der mittlerweile etliche Furore im Internet machte und seit der Ausstrahlung des ähnlich einem Dokumentarfilm aufgebauten Streifens „The Blair-Witch-Project“ Gemüter auf der ganzen Welt erhitzt? Ist er ein Mythos oder beruht er zumindest in Einzelheiten auf wahre Begebenheiten?
Die Gemeinde von Blair lag in North Central
Maryland, zwei Stunden von Washington, D.C., entfernt. Auf dem ehemaligen
Gelände der Stadt wurde später Burkittsville gegründet, ein Städtchen in
typisch amerikanischer Hinterhof-Romantik.
Vier Jugendliche gehen 1994 den Gerüchten um die
Hexe von Blair nach, die im Wald nahe des Ortes ihr Unwesen treiben soll. Von
jedem einzelnen der Gruppe fehlt seither jede Spur. Einzelheiten ihrer Suche
und recherchen konnten nur anhand von Filmmaterial rekonstruiert werden, das
ein Jahr später gefunden wird.
Dem angeblich auf reale Geschehnisse beruhenden ersten Teil folgte ein mehr der Spielfilm-Unterhaltung zugewandter zweiter Teil, der dennoch ebenfalls reale Hintergründe aufweisen soll.
Folgende Chronik schildert die wichtigsten Ereignisse um die Hexe von Blair.
FEBRUAR 1785
Mehrere Kinder behaupten, eine gewisse Elly Kedward habe sie in ihr Haus gelockt, um
ihnen Blut abzusaugen. Elly wird der Hexerei für schuldig befunden und während
des besonders harten Winters aus dem Dorf verbannt. Man nimmt an, daß sie den
Tod gefunden hat.
NOVEMBER 1786
Anfang des Winters verschwinden alle, die die „Hexe“
Elly angeklagt haben, und die Hälfte aller Kinder unter mysteriösen Umständen
aus der Stadt. Aus Angst, einen Fluch auf sich geladen zu haben, verlassen die
Bewohner Blair und schwören, niemals wieder Elly Kedwards Namen auszusprechen.
NOVEMBER 1809
Das Buch "The Blair Witch Cult" von einem anonymen Autor wird veröffentlicht und gilt als Auslöser des Kultes. Das Buch, allgemein als Fiktion angesehen, erzählt von einer ganzen Stadt, die von einer Hexe verflucht wird. In allen Einzelheiten wird über das Wirken der Hexe von Blair berichtet (s.Anhang).
1824
Die Stadt Burkittsville wird auf dem ehemaligen Gebiet von Blair gegründet.
AUGUST 1825
Elf Zeugen geben mit fester Überzeugung an, die Hand
einer bleichen Frau gesehen zu haben, die die 10jährige Eileen Tracle in den
Tappy East Creek gezogen hat. Die Leiche des Kindes bleibt unauffindbar und
nach ihrem Ertrinken ist das Gewässer 13 Tage lang mit öligen Bündeln aus
Holzstöcken verstopft.
MÄRZ 1886
Robin Weaver (8 Jahre) wird als vermißt gemeldet;
mehrere Suchtrupps ziehen los. Der kleine Weaver taucht wieder auf - aber
keiner der Suchenden. Ihre grausig zugerichteten Körper werden Wochen später am
Coffin Rock gefunden, zusammengebunden an Armen und Beinen und völlig
ausgeweidet.
NOVEMBER 1940 - MAI 1941
Emily Holland ist das erste von insgesamt sieben
Kindern, die aus dem Gebiet um Burkittsville, Maryland, verschwinden.
25. MAI 1941
Ein alter Einsiedler namens Rustin Parr
taucht auf einem Marktplatz auf und verkündet, daß er "endlich fertig
sei". Nachdem die Polizei nach stundenlanger Wanderung endlich sein abgeschiedenes
Haus in den Wäldern erreicht, findet sie die grausam verstümmelten Leichen der vermißten Kinder. Jedes ist einem
Ritualmord zum Opfer gefallen und alle sind ausgeweidet. Parr gibt alles bis
ins Detail zu, als habe er nur darauf gewartet, es loszuwerden und erklärt, daß
er es für den "Geist einer alten Frau" getan habe, der vom Wald in
der Nähe seines Hauses Besitz ergriffen habe. „Die Stimme befahl es mir“, gibt
er zu Protokoll. Er wird schnell verurteilt und am 22.11.1941 gehängt.
20. OKTOBER 1994
Die Collegestudenten Heather
Donahue, Joshua Leonard und Michael Williams treffen in Burkittsville ein,
um Ortsansässige zur Legende um die Hexe von Blair für eine Semesterarbeit zu
befragen. Heather interviewt Mary Brown,
eine alte und geistig etwas verwirrte Frau, die ihr ganzes Leben in der Gegend
verbracht hat. Mary behauptet, die Hexe von Blair eines Tages in der Nähe von
Tappy East Creek gesehen zu haben: In Gestalt einer haarigen Bestie - halb
Mensch, halb Tier.
21. OKTOBER 1994
Am frühen Morgen interviewt Heather zwei Fischer, die den Filmemachern erzählen, daß Coffin Rock weniger als 20 Minuten von der Stadt entfernt liegt und durch einen alten Holzfällerweg recht leicht zu erreichen ist. Die Filmemacher brechen wenig später auf und werden nie wieder gesehen.
25. OKTOBER 1994
Die erste Suche aus der Luft wird gestartet. Später am Tag wird Joshs Auto an der Black Rock Road gefunden.
26. OKTOBER 1994
Die Maryland State Police beginnt ihr Suche im
Gebiet des Black Hills Forest. Die Operation dauert zehn Tage lang und
beschäftigt mehr als hundert Leute, Suchhunde, Helikopter und einen Satelliten
des Verteidigungsministeriums.
5. NOVEMBER 1994
Die Suche wird abgebrochen, ohne eine Spur auf die
Filmemacher zu erbringen. Nicht ein einziges Teil ihrer Ausrüstung wird
gefunden. Heathers Mutter Angie beginnt eine erschöpfende Privatsuche nach
ihrer Tochter und ihren Begleitern.
19. JUNI 1995
Der Fall wird als unaufgeklärt geschlossen.
16. OKTOBER 1995
Studenten vom Anthropology-Department der University
of Maryland entdecken einen Seesack mit Filmmaterial: DAT-Bänder,
Videocasetten, eine Hi-8-Videokamera, Heathers Tagebuch und eine CP-16
Filmkamera vergraben unter den Grundmauern einer 100 Jahre alten Hütte. Nach
der eingehenden Untersuchung der Fundstücke gibt Ron Cravens, der Sheriff von
Burkittsville bekannt, daß die 11 Rollen Schwarzweißfilm und die 10 Hi-8-Videotapes
aus dem Besitz von Heather Donahue und ihrer Crew stammen.
15. DEZEMBER 1995
Nach der Untersuchung des Seesackinhalts werden
ausgewählte Filmsequenzen den Familien der Verschwundenen vorgeführt. Laut
Angie Donahue zeigen sie ungewöhnliche Vorgänge, die jedoch keinen Aufschluß
über das Geschehene geben. Die Familien fordern eine weitere Untersuchung und
eine erneute Sichtung.
19. FEBRUAR 1996
Die Familien sehen weitere Ausschnitte, die die
Polizei jedoch für gefälscht hält. Außer sich vor Wut geht Mrs. Donahue mit
ihrer Kritik an die Öffentlichkeit und beauftragt Haxan Films, die Vorfälle zu
rekonstruieren. Sheriff Cravens verbietet jeglichen weiteren Zugang zum Beweismaterial.
Ein Verbot, das auch zwei Prozesse nicht aufheben können.
Wer waren die Personen, die sich auf diese anfangs
durchaus harmlose Aktion eingelassen haben und später dem anscheinend nackten
Grauen zum Opfer fielen? Die Schauspieler, die in „The Balir Witch Project“
auftreten, behielten ihre echten Namen bei und auch ein jeweiliger „Werdegang“
wurde konzipiert:
Heather Donahue ist der Antrieb der Gruppe. Sie
wurde in Upper Darby, Pensylvania, geboren, zog aber bald in die ländliche
Umgebung von Baltimore zurück, wo ihre Ur-Großmutter lebte. Heathers frühesten
Kindheitserinnerungen beschäftigen sich mit den Geschichten ihrer Ur-Großmutter
über Geister und Hexen, die in der Gegend ihr Unwesen treiben sollten. Während
Heather anfangs von dem Grusel fasziniert war, den diese Geschichten in ihrer
Kindheit bei ihr auslösten, lernte sie doch später den historischen und
soziologischen Wert schätzen, den diese Geschichten weitergaben. Sie machte es
sich zur Aufgabe, den Ursprung der Geschichten zu untersuchen und zu
dokumentieren, um sie in erster Linie zu erhalten.
Als leidenschaftlicher Film-Experte begann Joshua
Leonard seine Karriere als 9jähriger mit der Dokumentation von lokalen
Sportveranstaltungen und Familienfeiern auf der 8mm-Kamera seines Vaters.
Später in der Highschool schrieb er das Drehbuch und führte Regie bei seiner
eigenen TV-Show "MD. Skunk", die schnell nicht nur zum Lokalfavoriten
der Jugend von Rocksville wurde, sondern auch zur beliebtesten Midnight-Show im
Kabel-Sender avancierte. "MD. Skunk" war bekannt für seine
einzigartige Mischung aus Skatebord-Tricks und Mitschnitten von
Punk-Rock-Konzerten gespickt mit Seifenkistenrennen und klassischen
Revolver-Duellen.
Joshua beendete später sein Studium der Fernsehwissenschaften am Montgomery
College, wo er zahlreiche Filmtechniken erlernt hatte wie online Beta-Schnitt,
Ton-Gestaltung und 16mm Film-Produktion. Joshuas letztes Unternehmen ist BLAIR
WITCH PROJECT, eine Dokumentation in Spielfilmlänge unter der Regie von Heather
Donahue.
Michael Williams ist der eher besonnene, aber
nervende Typ. Er wurde 1973 in Washington D.C. geboren. Mit 19 Jahren entschloß
er sich, auf einem Fischerboot an der Küste Floridas zu arbeiten, kehrte jedoch
drei Monate später wieder nach Hause zurück. Mit 22 Jahren moderierte er eine
Radioshow am Campus-Radio des Montgomery College und belegte ebenfalls Kurse in
Ton-Gestaltung und Filmschnitt, wo er Joshua Leonard kennenlernte. Ende August
1994 rief Joshua Leonard Michael an und fragte ihn, ob er mit ihm zusammen an
Heather Donahues Abschlußarbeit über die Legende der Blair Witch mitarbeiten
wolle. Michael nahm das Angebot an, da er wußte, daß er von Joshuas Filmerfahrung
viel lernen konnte.
Der Einsiedler Rustin Parr war ein ganz normaler Kerl, bevor er in den Strudel um die Hexe von Blair gezogen wurde, von der er angeblich besessen gewesens ein soll, als er die schrecklichen Morde begann. Rustin Parrs Eltern starben, bevor er 10 Jahre alt war. Daher zog er nach Burkittsville, um bei seiner Tante und seinem Onkel zu leben. Rustin fühlte sich sehr wohl in Burkittsville. Besonders die Wälder rings um die Stadt mochte er sehr, da er sich oft hierher flüchtete, um allein zu sein. Als Rustin Anfang 20 war, beschloß er, in den Bergen sein eigenes Haus zu bauen, das vier Stunden Fußmarsch von Burkittsville entfernt lag. Nach knapp 5 Jahren hatte er ein wunderschönes, dreistöckiges Häuschen fertiggestellt. Seine Besuche in Burkittsville wurden immer seltener.Als dann seine Tante starb und sein Onkel kurz darauf nach Baltimore zog, gab es für Rustin Parr nur noch selten Grund, in die Stadt zu kommen. Er liebte die Natur und die Tiere im Wald und begab sich daher nur noch zwei Mal im Jahr nach Burkittsville, um Vorräte zu kaufen.
Die Story um den Einsiedler erlebt seinen
dokumentarischen Höhepunkt durch auf den ersten Blick reale
Berichterstattungen. Nehmen wir einmal den Mythos als gegeben hin und lesen
eine der „offizielle“ Stimmen.
Wie es genau zu den Morden kam, kann man sicher nicht genau rekonstruieren, aber es muß ein erschreckender Trieb in Rustin Par gewesen sein, Greueltaten unermeßlicher Tragweite zu begehen. Besonders deutlich wird das, wenn wir aus dem Tagebuch von Frederick Peterson, Reporter der Baltimore Sun, zitieren:
„..Der Boden der Höhle war sorgfältig von
Gesteinsbrocken befreit worden, so dass sich aus der ebenen, dunklen Erde ein
perfekter Kreis ergab. Die Arme über die Köpfe erhoben waren die Männer
zusammengebunden, ähnlich den verdrehten Wurzeln eines Baumes in schweren Lehmboden.
Ihre Körper waren in der Form eines Dreiecks zusammengelegt, wobei die Hände
eines Mannes jeweils die Fü§e eines anderen berührten. Die Seile an den
Extremitäten waren fest im Boden verankert. Wer auch immer das getan haben
mochte, seine Absicht, die Opfer in ihrer Bewegung einzuschränken, schien
offensichtlich. Was ich dann entdeckte war so entsetzlich, dass mir der Atem
stockte. Dieser Anblick, zusammen mit dem unerträglichen Verwesungsgeruch, ließ
meine Begleiter in den Wald zurückweichen, um ihre rebellierenden Mägen zu
erleichtern. Ich fürchte, mich hätte das gleiche Schicksal ereilt, wenn ich
nicht zuvor Zeuge der Gräuel in Mexiko gewesen wäre. Aber trotzdem ließ dieser
Anblick mich erstarren. Ihre Bäuche waren aufgerissen; ein dunkles Loch in den
Eingeweiden, dort wo früher einmal der Platz für die Innereien gewesen war. Aus
den klaffenden Wunden hingen die Gedärme wie eine Nabelschnur heraus und
verbanden jeden der Männer mit dem Klumpen ihrer gesammelten Eingeweide in der
Mitte des Dreiecks. Die Innereien waren in Form eines komplizierten Musters
zusammengeschnürt: eine makabere Zuschaustellung von Webkunst. Im Moment des
Todes eingefroren, erzählte das Gesicht jedes Einzelnen das letzte Kapitel der
grausigsten aller Geschichten. Die Todesangst in ihren Augen, ihre
zusammengepressten Lippen; die Männer mussten offensichtlich während dieser
sadistischen Zeremonie noch am Leben gewesen sein. Gott sei ihren Seelen gnädig.“
Nun ist der Blair-Witch-Kult weiterhin im vollen
Gange. Wer letztendlich die grundsätzliche Wahreit über diese Vorfälle sagen
kann, ist unklar. Fest steht, daß die Medien, ein Konglomerat von Produzenten
und Filmfirma, aus den angeblichen Geschehnissen und deren Rekonstruktion in
16mm-Stil eine durchaus effektive Einnahmequelle gemacht haben, die für sich
allein Anerkennung abringt.
Die Darsteller des ersten Teils wurden ganz allein
mit den Kameras in die Wälder geschickt. Die dabei auftretenden psychischen und
physischen Strapazen bestärkten den dokumentarischen Charakter des Films, da
die Darsteller zum Schluß der Dreharbeiten völig am Ende waren. Die Namen der
Personen im Film sind denn auch die richtigen Namen der drei Darsteller, was
den Realismus hervorheben sollte. In dieser Hinsicht wird klargestellt, dass es
sich faktisch um eine grundlegend erfundene Story handelt.
Es steht aber auch mit ziemlicher Sicherheit fest, daß der Mythos Blair Witch einen wahren Urkern enthalten soll, der ungewöhnliche Ereignisse in den Wäldern rund um Burkittsville beschreibt. Wenn man parapsychologische Aspekte mit einbezieht, dann ist es eine sehr interessante Grundlage, die es zu erforschen gilt. Eine Anfrage per E-Mail an die Produktionsfirma bezüglich den Hintergründen blieb unbeantwortet. Die Macher des Films sprechen allerdings in einigen Interviews deutlich davon, sogar den Kult, die Historie, die Vorgänge in einer Stadt um 1785 in Amerika und gar das „zerfledderte“ Buch „The Blair Witch Cult“ ausgedacht zu haben, womit eindeutig klar belegt sein mag, dass die ganze Hintergrundstory um den Film defintiv frei erfunden wurde. Dennoch wird der Stoff weitergespinnt, es werden zweideutige Aussagen und Reportagen publiziert, die die Echtheit der Geschichte untermauern. Mittlerweile werden im Internet ja sogar sogenannte „Blair-Witch-Hunts“ organisiert, die es Fans, Verrückten und Interessierten ermöglicht, eine Expedition in die Wälder am „Coffin Rock“ durchzuführen. Vielleicht ist es mehr als interessant, der Sache einmal vor Ort auf den Grund zu gehen, zumindest aus dem Grund, ein Phänomen zu untersuchen, wie eine frei erfundene Geschichte einen solchen mysteriösen Stellenwert bekommen kann. Für den Fall, die Hexe von Blair treibt tatsächlich ihr Unwesen, würde ihr modriger Körper wohl ob der gewinnbringenden Materialschlacht rund um den Film die Schamesröte ins Gesicht zaubern und unmittelbar zu Staub zerfallen...
Autor: Roland Roth